Georgien ist in den vergangenen Jahren zu einer Art Eldorado für
Ausgrabungen geworden. Am bekanntesten sind die paläontologischen
Ausgrabungen von Dmanissi, wo man mittlerweile über die reichhaltigste
Fundstädte vorzeitlicher Schädel und Knochen im ganzen
eurasischen Raum verfügt. Wir haben über die senstionellen
Funde dieser Ausgrabung berichtet. In diesem Jahr hat man in Dmanissi
erstmals ein Schienbeinknochen gefunden, mit dem man jetzt untersuchen
kann, ob es sich beim Menschen von Dmanissi bereits um einen Homo
erectus gehandelt hat oder nicht, eine wichtige Erkenntnis für
die zeitgeschichtliche Einordnung der Siedlung.
Es wird aber auch an vielen anderen Stellen im Land gegraben,
unter anderem in der Steppe von David Garedschi. Dort sind hauptsächlich
junge deutsche Archäologen tätig, die jetzt gerade ihre
diesjährige Kampagne beendet haben. Das Projekt steht unter
der Leitung des Tübinger Wissenschaftlers Dr. Janek Bertram,
einem Schüler des weltweit als Troja-Papst bekannten deutschen
Archäologen Prof. Manfred Korfmann. Beide präsentierten
zusammen mit ihrem georgischen Kollegen Prof. Kiazo Pirzchalauri
dieser Tage die Ergebnisse der vierten Grabungskampagne. GN schaute
sich auf dem Grabungsgelände und im Basis-Camp in Sagaredscho
um.
Bei dieser Grabung handelt es sich um drei vermutlich im Zusammenhang
stehende Siedlungen auf einem Bergrücken der Steppenlandschaft
von David Garedschi. Alle drei Siedlungen sind auf das späte
zweite Jahrtausend vor Christus datiert. Da die drei Siedlungen
vermutlich einer Feuersbrunst zum Opfer gefallen sind und danach
verlasen wurden, bieten sie dem Archäologen eine einmalige
Gelegenheit, Einblick in einen genau zu terminierendes Zeitfenster
der Siedlungsgeschichte zu nehmen. Die Asche der Brandschicht
hat nahezu den gesamten Hausrat konserviert und da es keine spätere
Nutzung dieser Siedlungen mehr gab, konnten auch spätere
Generationen nichts an Gebäuden ändern oder an Hausrat
zufügen .
Bei den Udabno-Grabungen verwenden die Archäologen eine
für Georgien revolutionäre Technologi: Magnetometerbilder.
Diese auf Luftaufnahmen projizierten Messungen ergeben schon vor
Beginn der Grabung ein ziemlich genaues Bild von der Siedlungsstruktur.
Dabei macht man sich die unterschiedlichen Magnetstaerken zu Nutze,
die verschiedene Materialien haben. Bei Eingriffen in den Boden,
z. B. bei der Errichtung von Gebäuden, aendert sich die natürliche
Geomagnetik. Diese Abweichungen werden vom Computer erfasst und
graphisch dargestellt. So lassen sich die Baustrukturen erfassen,
die unter der Grasnarbe zu erwarten sind, die Archäologen
können mit ihren Grabungen chirurgisch genau an dem Platz
ansetzen, der ihnen am interessantesten erscheint. Diese "Wunderstadtpläne"
der drei Udabno-Dörfer sind derzeit noch nicht für eine
Veröffentlichung freigegeben. Sie zeigen aber zum Beispiel,
dass die Hauptsiedlung knapp einen Kilometer lang war, sich auch
einem kleinen Bergrücken erstreckte und von bis zu 5 m starken
Fortifikationen umwehrt war. Die Zitadelle der Siedlung erstreckt
sich über eine Fläche von 30 x 40 m.
Für einen Laien ist es geradezu unglaublich und faszinierend,
dass da im Hauptdorf Udabno I nur wenige Zentimeter unter der
steppenartigen Grasnarbe bereits Siedlungsreste aus vorchristlicher
Zeit freigelegt werden. Man kann, so erklären uns die Archäologen,
sogar am Pflanzenwuchs den Verlauf von Mauerresten erkennen, da
auf dem Mauerwerk die Wurzeltiefe nicht annähernd so groß
ist wie auf dem übrigen Gelände. Udabno I war dicht
bebaut, Haus an Haus. Die Größe der Einheiten von 18
auf 5 m lässt darauf schliessen, dass diese Gebäude
sowohl zu Wohn- als auch zu Wirtschaftszwecken benutzt wurden.
Und da ist der Archöologe am eigentlichen Zweck seines Tuns
angekommen. Janek Bertram will mit seinem Team in Udabno die wirtschaftliche
Rolle des Kaukasus in diesen Zeiten erkunden. Verschiedene Modelle
sind derzeit denkbar, erklärt er uns, keines jedoch schon
absolut zweifelsfrei nachgewiesen. Einmal könnten sich die
Udabno-Siedler mit Erzgewinnung und -veredelung beschäftigt
haben. Darauf deuten gewisse Funde hin, aber auch die Vermutung,
dass das einst durchaus bewaldete Gebiet von David Garedschi im
2. Jahrtausend v. Chr. zur Energiegewinnung abgeholzt worden ist.
Demgegenüber stehen allerdings Knochenfunde von Tieren, die
man eher einer Steppenlandschaft zuordnen kann. Diese Frage wäre
also noch zu klären.
Eine weitere Möglichkeit besteht in der Gewinnung von Salz,
damals ein begehrtes Gut. Rund um die drei Udabno-Dörfer
- es sollen übrigens noch ein paar weitere Dörfer unter
der Erdschicht existieren - gibt es ein paar Salzseen. Das Granulat,
das man hier gewinnen konnte, war ganz leicht abzusetzen, liegt
doch Udabno direkt an einem der wichtigsten Handelswege der damaligen
Zeit, der vom Kaspischen Meer kommend über das Alasanital
ins Iorital nach Mzcheta und von da in den Norden oder ans Schwarze
Meer führte und damit direkt an Udabno vorbei. Vom kleinen
Hügel des Dorfes Udabno III aus hat man einen ausgezeichneten
Überblick über das ganze Iorital, konnte also ankommende
Karawanen schon rechtzeitig erkennen. Die Siedlung war strategisch
bestens gewählt.
Schliesslich gibt es auch jede Menge an Hinweisen, dass in Udabno
Tierzucht und wohl auch Ackerbau getrieben wurde, Reste von Mühlsteinen
oder Dreschschlitten deuten auf die Verarbeitung von Getreide
hin. Bei Dreschschlitten handelt es sich um einfache Holzschlitten,
an deren Unterseite man spitze Steine eingedrückt hat. Mit
dieser fährt man dann über das ausgebreitete Getreide
und trennt so die Körner von den sie umgebenden Spelzen.
Eine Technologie, wie man sie im oberen Swanetien heute noch beobachten
kann. Es kann sich bei Udabno also auch um eine Art Zentrum für
eine nomadisierende Gesellschaft gehandelt haben, womit der Archäologe
schon wieder ziemlich nahe an der Gegenwart angelangt ist. In
der Nähe von udabno gibt es zum Beispiel ein paar Dörfer,
von Azeris bewohnt, deren Menschen und Tierherden jedes Jahr im
Sommer in die Berge rund um den Tabazkurisee ziehen, bevor sie
im Winter wieder ins Iorital zurückkehren.
Archäologie ist eine Sache für gewissenhafte Menschen.
Alle Grabungsschritte werden detailliert erfasst, vermessen und
mit Zeichnungen belegt. Alle Fundstücke werden im Camp erst
einmal gereinigt, Aufgabe der sogenannten "Scherbenfrau",
dann numeriert und katalogisiert. Die Grabungskampagne vor Ort
dauert nur ein paar Wochen, den Rest des Jahres verbringt vor
allem Dr. Bertram damit, die Fundstücke wissenschaftlich
auszuwerten. Für ihn, der in Troja unter Manfred Korfmann
das Archäologen-Handwerk gelernt hat, dürfte Udabno
so etwas wie eine Lebensaufgabe werden. Auf alle Fälle wird
er in den nächsten Jahren den Sommer über in Georgien
verbringen, um weitere Antworten zur Rolle des Kaukasus in der
Bronzezeit zu finden.
Das Grabungscamp ist in einem Bauernhaus im Städtchen Sagaredscho.
In diesem Jahr waren sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Uni Tübingen vor Ort, zwei freiwillige Helfer, beides Pensionäre,
eine Schweizer Restauratorin, eine Armenierin und fünf Georgier,
dazu eine ganze Reihe von örtlichen Hilfskräften. Im
nächsten Jahr werden die Arbeiten weitergeführt.
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