In seiner Eigenschaft als stellvertretender Sprecher der Parlamentariergruppe
Südkaukasus im Deutschen Bundestag bereiste das Mitglied des
SPD-Fraktionsvorstandes Jörg Tauss im August die drei Kaukasusländer.
GN begleitete den Abgeordneten auf dem größten Teil seiner
Reise und führte jetzt dieses abschliessende Gespräch.
Tauss ist SPD-Fraktionssprecher für Bildung, Forschung und
Medien. In der Parlamentariergruppe Südlicher Kaukasus sind
die Abgeordneten zusammengefasst, die sich speziell mit dieser Region
beschäftigen.
GN: "Sie besuchten jetzt in einer zusammenhängenden
Informationsreise die drei Länder des Südkaukasus. Können
Sie uns einen ersten Eindruck über die Stimmung in den drei
Ländern geben, ist sie ähnlich oder spürt man Unterschiede?"
Jörg Tauss: "Es gibt sicher einige Unterschiede,
obwohl die Stimmung überall gleichermassen nervös erscheint.
In Aserbaidschan weiss die Öffentlichkeit nicht, ob der Präsident
noch handlungsfähig oder möglicherweise gar nicht mehr
am Leben ist. In Armenien schaut man gespannt, ob die Justiz tatsächlich
gegen die Fälscher der letzten Parlamentswahl oder gegen
die Mörder im Parlament vorgeht (Anmerkung d. Red.: Vor zwei
Jahren wurden mehrere Politiker im Parlamentsgebäude in Eriwan
ermordet. Keiner der Schuldigen wurde bisher bestraft). Und in
Georgien wartet jeder auf den Ausgang der bevorstehenden Parlamentswahlen.
Die Länder scheinen politisch irgendwie paralysiert, vor
allem Georgien und Aserbaidschan, wo Generationswechsel in der
Führung anstehen."
GN: "Haben Sie irgendwelche Symptome von Umbruch-
oder gar Aufbruchsstimmung vorgefunden angesichts der bevorstehenden
Wahlen?"
Jörg Tauss: "Ja, alles wartet, nicht nur in
Aserbaidschan, auf neue personelle und politische Richtungsentscheidungen.
Nach der vernichtenden Niederlage bei den Kommunalwahlen stellt
sich in Georgien die spannende Frage, ob sich das Schewardnadse-Lager
nochmals erholt und mit neuem Personal und neu formiert an der
Macht bleiben kann. Ich glaube dies, bei korrekten Wahlen, nicht.
In Armenien liegt die Opposition nach den Wahlfälschungen
noch am Boden. Diesen
Eindruck hat man in Tiflis und Baku, trotz aller Schikanen gegen
die Opposition, keinesfalls."
GN: "In Aserbaidschan scheint die Nachfolgefrage
ja nahezu dynastisch geregelt zu werden. Was haben Sie über
Aliev jr. erfahren, wie wird er eingeschätzt?"
Jörg Tauss: "Es muss sich zeigen, ob sich der
Präsidentensohn tatsächlich vom alten Clan seines Vaters
absetzen kann. Die weitere Frage ist, ob er sich lediglich an
die Spitze der Oligarchie setzt, um weiter seinen Geldbeutel aus
dem Ölgeschäft zu füllen oder ob er tatsächlich
auch Reformen einleitet. Für mich war erstaunlich, dass vor
allem jüngere und gut gebildete Leute Hoffnungen äußern,
dass letzteres der Fall sein wird und er durchaus in der Lage
wäre, das Land in eine bessere Zukunft zu führen. Der
Opposition traut man dies in diesen Kreisen weniger zu als Aliev
jr."
GN: "Sie haben während Ihrer Reise das Chaos
bei der Regelung der neuen Wahlgesetzgebung in Georgien erlebt.
Da musste sogar ein ehemaliger amerikanischer Aussenminister antreten,
um Nachhilfeunterricht in Sachen Demokratie zu geben. Das ist
doch alles andere als ein gutes Omen für diese Wahlen."
Jörg Tauss: "Die Amerikaner sind hier wohl mit
zu hohen Erwartungen und Forderungen gegenüber Georgien aufgetreten.
Meines Erachtens sollte der im Parlament gefundene Kompromiss
jetzt jedoch nicht zerredet werden, auch wenn er keineswegs westlichen
Idealvorstellungen entspricht. Wichtig war, dass überhaupt
Bewegung in die Sache kam und kommt und die Wahlen unter einigermassen
erträglichen Bedingungen ablaufen. Ich denke schon, dass
das viel besser werden kann als in Armenien oder bei früheren
georgischen Wahlen und das wäre doch immerhin ein Fortschritt."
GN: "Bei Ihren politischen Gesprächen vor allem
in Baku und Eriwan stand der Konlikt um Berg-Karabach im Vordergrund.
Haben Sie Anzeichen für Bewegung gefunden?"
Jörg Tauss: "Karabach ist und bleibt natürlich
der Zankapfel zwischen Baku und Eriwan. Vor den Wahlen in Aserbaidschan
wird sich hier gar nichts bewegen lassen. Andererseits hatte ich
gerade in Baku den Eindruck, dass trotz des Flüchtlingsproblems
jüngere pragmatische Politiker durchaus Kompromisse andenken
können. In Armenien scheint man noch nicht so weit zu sein.
Hier gibt es erheblichen nationalistischen Druck vor allem von
den Auslandsarmeniern, auch was das Verhältnis zur Türkei
anlangt. Dennoch sind alle beteiligten Länder schon aus ökonomischen
Gründen gezwungen, endlich zu Lösungen zu kommen. Insofern
kann man auf Bewegung hoffen."
GN: "Georgien hat während Ihres Besuchs als
besonders dramatisch empfundene Veränderungen seiner Energielandschaft
erfahren. Die USA sind auf dem Rückzug, Russlands Energiegiganten
als Investoren auf dem Vormarsch. Europa wird kaum wahrgenommen.
Europa und Deutschland vor allem haben sich im Kaukasus bislang
zwar durch vielerlei Hilfsleistungen und Projekte der Entwicklungszusammenarbeit
hervorgetan, eine eindeutige Formulierung unserer deutschen und
europäischen Interessen in dieser Region wird aber nicht
sichtbar. Haben wir keine Interessen? Überlassen wir diese
Region dem Kräftespiel USA-Russland?"
Jörg Tauss: "Ich hoffe, dass sich die Europäer
wieder verstärkt diesen Fragen im südlichen Kaukasus
zuwenden. Dem neuen EU-Beauftragten für den Kaukasus eilt
übrigens ein sehr guter Ruf als ausgezeichneter Kenner der
Region voraus. Das ist schon mal nicht schlecht. Wenn Russland
nicht falsch spielt, könnte auch aus dem Minsk-Prozess für
die Region durchaus noch etwas werden. Denn es wäre nicht
möglich, etwa im Abchasien- Konflikt gegen Russland oder
an Russland vorbei zu Lösungen zu kommen. Deshalb kann das
Engagement russischer Investoren im Kaukasus durchaus positiven
Einfluss auf die politische Grosswetterlage haben. Wenn man zu
weiteren pragmatischen Schritten zum Thema Energie oder Eisenbahn
kommt, warum dann nicht in anderen Bereichen? Hieraus könnten
sich auch für die EU und Deutschland noch interessante ökonomische
Perspektiven bei einer verbesserten Zusammenarbeit ergeben. Es
stimmt: Wir haben im Kaukasus auch wirtschaftliche Interessen
und müssen diese deutlicher als bisher definieren."
GN: "Vor allem die deutsche Wirtschaft glänzt
in allen drei Kaukasus-Ländern eher durch ein bescheidenes
Auftreten. Was kann getan werden, um die Präsenz deutscher
Unternehmen im Kaukasus zu fördern?"
Jörg Tauss: "Ich verstehe dies - ungeachtet
der bekannten Probleme in dieser Region - ehrlich gesagt nicht.
Man wartet in allen drei Staaten gerade auch auf die Deutschen.
Das ist mir sehr deutlich geworden bei allen Gesprächen.
Da gibt es einigen Nachholfbedarf. Wir haben einen hervorragenden
Ruf. Es würde mich sehr ärgern, wenn wir mit unseren
wirklich tollen Entwicklungsprojekten in der Region langfristig
Investoren aus allen Ländern den Weg bereiteten und mit unserer
eigenen Wirtschaft in dieser wichtigen Region abseits stehen.
Es kann doch nicht sein, dass wir zum Beispiel mit dem Katasterprojekt
in Georgien gerade für ausländische Investoren Sicherheiten
geschaffen haben, die es in anderen Nachfolgestaaten der UdSSR
nicht gibt, es dann aber versäumen, dies unserer deutschen
Wirtschaft auch klar zu machen. Ähnlich ist es mit dem Rechtsberatunsgsprojekt
in allen drei Ländern, wo wir mit gutem Erfolg am Aufbau
rechtsstaatlicher Strukturen beteiligt sind, dies aber zu Hause
kaum deutlich werden lassen. Ich werde auch gegenüber der
Bundesregierung anregen, hier aktiver zu werden. Es wäre
schön, wenn man im Wirtschaftsministerium und nicht nur im
Entwicklungsbereich die Region Südkaukasus wieder entdeckt
würde. Die Rollenverteilung, nach der wir Deutschen die "Gutmenschen"
sind und beim Aufbau bürgerlicher und demokratischer Gesellschaften
helfen, während andere die Geschäfte machen, muss nicht
auf Zeit und Ewigkeit festgezurrt bleiben. Ich werde meine politischen
Möglichkeiten in Berlin nutzen, um hier ein Umdenken einzufordern."
GN: "Sie sind vornehmlich Bildungspolitiker und haben
sich bei dieser Reise auch schwerpunktmässig um diesen Bereich
gekümmert. Gibt es da Ansätze für eine verstärkte
Zusammenarbeit?"
Jörg Tauss: "Zunächst einmal habe ich -
neben der einen oder anderen Sowjet-Nostalgie im Bildungsbereich
- auch das eine oder andere hervorragende Beispiel moderner Bildungsinstitutionen
besuchen können, so etwa eine neue europäische Hochschule
in Eriwan, die viel Hoffnung für die Zukunft vermittelt.
Allerdings wurde in vielen Gesprächen auch deutlich, dass
der Hochschulbereich einen unverhältnismässig hohen
Anteil am Bildungswesens dieser Länder hat, während
die praktische Berufsausbildung nur unzureichend stattfindet.
Wir hätten gerade auf diesem Sektor einiges an Erfahrungen
anzubieten, wenn die Länder selbst die ersten Schritte unternehmen
und den Wert einer effizienten Berufsausbildung erkennen. Da scheint
es in den einen oder anderen Land durchaus Ansätze zu geben,
zumindest verstärktes Interesse. Ich hoffe da ganz konkret,
dass sich der Einsatz eines deutschen Fachberaters für Berufsausbildung
im georgischen Bildungsministerium demnächst auch in erkennbaren
Fortschritten auswirkt und nicht nur in Papieren, die kaum jemand
zur Kenntnis nimmt. Auch da werde ich in Berlin, so gut ich kann,
am Ball bleiben."
GN: "Was ist dem Forschungsspezialisten im Südkaukasus
aufgefallen?"
Jörg Tauss: "Da gibt es Zwiespältiges zu
berichten. Einerseits das offensichtlich zum Scheitern verdammte
Bemühen von früheren Top-Instituten der sowjetischen
Computer-Forschung, den Anschluss an die Entwicklung der Welt
zu halten. Das war schon sehr ernüchternd, was ich da zum
Beispiel in Eriwan gesehen habe. Demgegenüber habe ich aber
in Tbilissi ein Forschungsinstitut für Halbleitertechnik
besucht, das mich beeindruckt hat. Es gibt also doch einzelne
Projekte, die den Anschluss an die Weltwirtschaft finden werden.
Und dass jetzt in Tbilissi wieder Flugzeuge gebaut werden, erfreulicherweise
auch zivile, wie ich besichtigen konnte, ist doch ein Zeichen,
dass es um die Spüitzentechnologie in der Region nicht so
schlecht steht, wie allgemein vermutet wird. Es gibt für
unsere Wirtschaft durchaus Möglichkeiten der Kooperation
auf hohem technischen Niveau. Wir müssen sie nur suchen."
GN: "Trotzdem, wirtschaftlich stehen alle drei Länder
nicht sonderlich erfolgreich da, wenn man vom Boom der Schattenwirtschaft
und des Handels einmal absieht. Wie schätzen Sie die künftige
Wirtschaftsentwicklung der Region ein?"
Jörg Tauss: "Da ist Potenzial, keine Frage.
Aber die ökonomische Entwicklung hängt sehr stark mit
der Lösung der regionalen Konflikte und der Bereitschaft
der drei Staaten, miteinander zu reden und die territorialen Fragen
zu regeln, zusammen. Dies muss man auch vor Ort immer wieder deutlich
machen. Das Beispiel der
heutigen deutsch-französischen Zusammenarbeit - trotz früherer
"Erbfeindschaft" - kann hier Vorbild sein. Es fehlen
in der Region aber noch vergleichbar mutige Pioniere wie bei uns
vor vierzig Jahren mit Adenauer und de Gaulle oder den späteren
Architekten der Ostpolitik wie Brandt und Bahr."
GN: "Dies war Ihr erster Besuch in allen drei Ländern
des Südkaukasus. Was nehmen Sie mit, wie geht es weiter?"
Jörg Tauss: "Ich war ja schon mehrfach in Georgien
und Armenien, Aserbaidschan war jetzt Neuland für mich. Es
soll natürlich nicht bei dieser einen Informationsreise und
ihren Kontakten bleiben. Ich habe mich sehr gefreut, vor wenigen
Tagen in Berlin den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs
Georgiens wieder treffen zu können. Da sind jetzt eine ganze
Reihe von persönlichen Kontakten, die in diesen Tagen im
Kaukasus geknüpft wurden, die sicher über einen längeren
Zeitraum halten werden. Solche zwischenmenschlichen Beziehungen
darf man in der Politik nicht unterschätzen. Ausserdem planen
wir mit unserer Parlamentarier-Gruppe Südkaukasus im nächsten
Jahr einen größer angelegten Besuch in den drei Ländern,
auch um das Interesse der Bundesrepublik Deutschland an dieser
Region stärker zum Ausdruck zu bringen. Darüber hinaus
versuchen wir hier in Berlin, möglichst immer mit Vertretern
aller drei Länder des Südkaukasus gemeinsame Gespräche
zu führen. Dies kann unser Beitrag zu Förderung des
Verständnisses in dieser für die Zukunft Europas wichtigen
Region sein."
GN: "Vielen Dank für dieses Gespräch."
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