Thema Nr. 1 in Georgien ist nicht etwa die anstehende Parlamentswahl.
Thema Nr. 1 ist und bleibt die unsichere Lage in der Stromversorgung.
Da es in den vergangenen Wochen erstmals seit Jahren auch im Sommer
zu erheblichen Stromsperren kam, ist die allgemeine Stimmung auch
unter ausländischen Einwohnern auf dem Nullpunkt angelangt.
Man rechnet deshalb mit einem besonders harten Winter nach der einfachen
Gleichung, wenn die Regierung schon vor den Wahlen keinen Strom
liefern kann, was wird sie dann erst nach den Wahlen mit uns machen.
Dabei haben viele noch die Situation nach Wahlen der vergangenen
Jahre im Gedächtnis, wo es tatsächlich bis zum Wahltag
keine Stromsperren gab, das Land am Tag nach den Wahlen aber regelmässig
zunächst einmal in tiefer Dunkelheit versank.
Diese Beurteilung der Lage übersieht, dass die Regierung
so gut wie keinen Einfluss mehr auf das Tagesgeschäft der
Stromversorger hat. Auf Druck internationaler Geldgeber wurden
nahezu alle Schaltstellen der Stromwirtschaft vom Einfluss der
Regierung abgenabelt und deshalb unter internationales Magement
gestellt. Dieses wird weder von der georgischen Regierung noch
von den georgischen Stromverbrauchern bezahlt, die Experten-Firmen
aus dem Ausland werden von Weltbank, EBRD oder USAID direkt finanziert.
So wird das georgische Hochspannungs-Überlandnetz von einer
irischen Consulting-Firma gemanagt, die kommunalen Stromverteiler
(mit Ausnahme von Tbilissi und Kachetien) von einer amerikanischen
und die nationale Energie-Börse, der sogenannte "Strom-Grossmarkt"
(Georgian Wholesale Electricity Market - GWEM), von einer spanischen.
Der Tbilisser Stromverteiler Telasi ging gerade von amerikanischem
Mehrheitsbesitz in russischen über. Georgische Minister,
mögen sie kommen oder gehen, haben im Tagesgeschäft
dieses Energiesystems nichts mehr zu melden. Die Hintergründe
für die Stromsperren liegen woanders.
Einer der Gründe ist zunächst einmal in technischem
Versagen oder Sabotage zu suchen. So muss wegen kurzfristiger
Reparaturarbeiten immer wieder eines der Kraftwerksaggregate des
Inguri-Kraftwerks kurzfristig abgeschaltet werden. Das georgische
Netz verfügt über keine weitergehenden Reserve-Kapazitätzen,
um in solche Situationen anderweitige Energie zuschalten zu können.
Darüberhinaus gab es in den vergangenen Wochen immer wieder
Anschläge auf die Hochspannungs-Überlandleitung "Kavkasioni",
die einen Großteil des Stroms aus dem Westen Georgiens,
wo er produziert oder von Russland importiert wird, in den Osten
des Landes, wo die größte Nachfrage herrscht, tansportiert.
Auch für solche Fälle gibt es keine zusätzlichen
Kapazitäten, die zugeschaltet werden können.
Noch komplizierter ist die Situation bei den kommunalen Stromverteilungsunternehmen,
die wegen anhaltender Misswirtschaft vor einiger Zeit zu einem
einzigen Unternehmen (UDC - United Distribution Companies) zusammengeschlossen
wurden. Die Anteile des Unternehmens gehören noch immer dem
Staat und dessen lokale Autoritäten, Gouverneure und Bürgermeister,
benehmen sich gelegentlich so, als hätte sich in der Stromwirtschaft
nicht viel geändert.
So hat zum Beispiel der Gouverneur von Imeretien, Temur Schaschiaschwili,
eigenhändig in einem Umspannwerk die vom Strom-Grossmarkt
verordnete Stromsperre für Imeretien mit einem Griff an den
Hauptschalter rückgängig gemacht. Imeretien hatte wieder
Strom, für einer Besserung der Zahlungsmoral sieht sich der
eigenmächtige Gouverneur allerdings nicht zuständig.
Der Grosmarkt (GN berichtete im Juni darüber) hatte in Absprache
mit dem amerikanischen Management von UDC dieser und damit allen
lokalen Stromvereilern mit Ausnahme von Tbilissi und Kachetien
nur noch 30 % der angeforderten Strommenge geliefert, da UDC derzeit
nur in der Lage ist, 30 % des bezogenenen Stroms zu bezahlen.
Entweder wird der restliche Strom von den Verbrauchern nicht bezahlt
oder die kassierten Beträge wandern in die Taschen lokaler
Größen und nicht auf den Konten des Strommarktes. Die
amerikanische Management-Firma muss im wesentlichen mit dem Führungspersonal
vor Ort zurecht kommen, das dort schon seit Jahrzehnten tätig
ist. Und das kennt halt zunächst einmal seine eigenen Spielregeln.
Jetzt hat man es damit versucht, den säumigsten Niederlassungen
nur noch gegen Vorauskasse Strom zu liefern. Von 22 gänzlich
vom Strom abgeschnittenen Niederlassungen haben sich immerhin
13 auf dieses Spiel eingelassen und zahlen jetzt im Voraus.
Da auf der wichtigsten Überlandleitung von Sugdidi nach
Tbilissi immer wieder illegal Strom abgezwackt wird, wird Telasi,
der beste kommunale Stromzahler im Lande, immer wieder mit Stromabschaltugen
bestraft, die andere durch ihre unberechtigte Stromentnahme verursacht
haben. Ebenso ergeht es den großen industriellen Stromverbrauchern,
die sich nach Aussage des Strom-Grossmarktes mittlerweile alle
zu 100-%-Zahlern entwickelt haben. Eine gute Zahlungsmoral schützt
also nicht vor Stromsperren, das ist das Paradoxum auch in der
georgischen Hauptstadt, wo nahezu 70 % der Stromverbrauchern mit
Stromzählern ausgestattet sind und eine Zahlungsmoral von
nahezu 100 % aufweisen.
An dieser Situation kann auch der neue Mehrheitseigner von Tealsi,
der russische Energiekonzern UES, nicht viel ändern. Mehrfach
hat UES erklärt, angesichts der guten Zahlungsmoral in Tbilissi
über die Kavkasioni-Linie genügend Strom aus Russland
zu importieren, um Tbilissi den ganzen Winter über 24 Stunde
lang mit Strom versorgen zu können. Allerdings fordern die
russischen Manager vom georgischen Stromsystem eine Zahlungsgarantie
für die Mengen an Strom, die lokale Gouverneure und Bürgermeister
entlang der Überlandleitung abzapfen und nicht bezahlen.
Man rechnet in der georgischen Hauptstadt damit, dass von 200
importieren KW lediglich 100 in Tbilissi ankommen. Der Rest sind
technische und nicht-technische Verluste, sprich Diebstahl. Da
niemand im Land bereit ist, diesen Zustand abzustellen oder dem
Stromimporteuer gegenüber die Verantwortung zu übernehmen,
wird es auch in diesem Winter wieder zu Stromsperren kommen.
Der georgische Präsident hat gegenüber dem Management
von UDC und dem Strom-Grossmarkt immer wieder seine Unterstützung
in deren Bemühen, Ordnung in den Strommarkt zu bringen, zugesagt.
Bislang hat er es anscheinend versäumt, seine Gouverneure
und Bürgermeister, die allesamt von ihm ernannt werden, in
diese Zusage einzubinden. Insoweit liegt es doch an der Uneinsichtigkeit
der georgischen Regierung und Verwaltung, für bezogenen Strom
auch entsprechende Gebühren zu entrichten, wenn diejenigen,
die ihren Strom ehrlich bezahlen, trotzdem immer wieder vom Netz
abgeschaltet werden. Für alle, die ihren Strom zahlen, gäbe
es sommers wie winters genügend elektrische Energie, sagen
die internationalen Manager des Systems übereinstimmend.
Es gibt aber unterwegs von der Erzeugung zum ehrlichen Verbraucher
noch zuviele, die sich clever fühlen, wenn sie auf Kosten
anderer leben.
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