Gogi Tsereteli müsste eigentlich Herkules heissen oder über
dessen Kräfte verfügen, wollte er seine Aufgabe in der
georgischen Straßenbauverwaltung wirklich erfüllen.
Der ebenso bullige wie umgängliche Ingenieur ist dort Abteilungsleiter
für Unterhaltung und Modernisierung des georgischen Straßenwesens
und musste sich in den letzten Jahren eher vorgekommen sein wie
Sissyphus: Wann immer seine Leute ein Schlagloch aufgefüllt
hatten, wuchs ihnen gleich nebenan ein neues nach. Es wird Jahrzehnte
dauern, bis der Allgemeinzustand der georgische Straßen
ein einigermassen zufriedenstellendes Niveau erreicht haben wird.
Und trotzdem: In den vergangenen zwei Jahren hat sich einiges
im georgischen Straßenbau getan. Wer mit offenen Augen durchs
Land fährt, wird Fortschritte nicht verleugnen können.
So ist zum Beispiel die gesamte Strecke von Poti über Tbilissi
bis zur aserischen Grenze an der Roten Brücke in den letzten
Jahren saniert und teilweise völlig neu asphaltiert worden.
Mit Ausnahme von zwei Waschbrett-Stücken am Rikoti-Pass ist
die gesamte West-Ost-Durchfahrtsstraße jetzt in einem passablen
Zustand. Die georgische Heerstrasse bis Mleta ist in
einem einwandfreien Zustand und die wichtige Durchgangsstrasse
von Samtredia über Lanchuti nach Grigoleti am Schwarzen Meer
wird in wenigen Tagen eine durchgehend neue Asphaltdecke haben.
Nur vier Kilometer der früheren Schlaglochpiste sind noch
offen. Bis Ende nächsten Jahres wird auch die Horrorstrecke
von Marneuli bis zur armenischen Grenze bei Sadachlo völlig
erneuert sein, die Hälfte der Strecke ist bereits neu asphaltiert.
Ähnlich sieht es auf der Strecke von Chaschuri nach Achalziche
aus. Damit präsentieren sich die Hauptverbindungsstrassen
alles in allem in einem ausgezeichneten Zustand, wenn man sich
vergegenwärtigt, wie es auf diesen Pisten noch vor fünf,
acht oder zehn Jahren ausgesehen hat. Finanziert wurde dieses
Straßenbauprogramm durch Kredite der Weltbank und eines
kuwaitischen Entwicklungsfonds.
Insgesamt verfügt das Land über ein öffentliches
Straßennetz von 20.229 km. 4.800 km sind Nationalstraßen,
15.429 km Kommunalstraßen. Die amtliche Statistik weist
aus, dass 41 % dieser Straßen einen festen Belag haben,
darunter 34,5 % einen Aspahltbelag. Von den Nationalstraßen
erzählt die Statistik, dass 96 % einen festen Belag aufweisen,
92,7 % davon einen Aspahltbelag. Die Statistik muss wohl über
viele Jahre hinweg nicht mehr überprüft worden sein,
denn der Goderzi-Pass oder der Kreuzpass werden als Nationalstraßen
mit einem festen Belag geführt. Die Realität des Jahres
2003 sieht anders aus, denn seit mehr als zehn Jahren wurde im
georgischen Straßenbau noch nicht einmal das allernötigste
investiert, um Straßen zu erhalten, von Neubau ganz zu schweigen.
Rund 560 Millionen $ bräuchte Gogi Tsereteli, um das Straßennetz
des Landes gründlich zu sanieren, dazu noch einmal rund 120
Millionen $ jährlich, um es zu unterhalten. Abgesehen von
großen Investitionsprogrammen auf Kreditbasis hat er in
diesem Jahr lediglich 25 Millionen für den Unterhalt der
Straßen bekommen, also noch nicht einmal ein Viertel dessen,
was er eigentlich bräuchte. Gespeist wird dieser Topf aus
der Benzinsteuer, den Straßenbenutzungsgebühren ausländischer
Fahrzeuge und der 1 %-igen Straßensteuer, die jedes Unternehmen
auf seinen Umsatz bezogen dem Staat abzuführen hat. Von der
Benzinsteuer, die 200 GEL pro Tonne beträgt, wandern 30 %
direkt in den Straßenbauetat. Im Jahr 2002 sind dies nach
Auskunft des Finanzministeriums gerademal 14 Millionen GEL gewesen.
Man braucht nicht viel Zeit, um nachzurechnen, wo der georgische
Straßenbau heute stünde, wenn es allein gelänge,
den Benzinhandel aus dem Schatten herauszuführen, oder wenn
die Unternehmen ihre Straßensteuer vom tatsächlichen
Umsatz berechneten und nicht von dem, den "man zeigt".
Aber statt dem Staat zu geben, was des Staates ist, und was dieser
braucht, um die öffentliche Infrastruktur sicherzustellen,
gibt es anscheinend einen gesellschaftlichen Konsens, lieber auf
schlechten öffentlichen Straßen private Autos zu ruinieren
statt diesen auf guten Strassen eine längere Lebensdauer
zu gewähren. Der Autofahrer wird so oder so zur Kasse gebeten.
Für das vierjährige Straßenbauprogramm, das 2004
auslaufen wird, standen insgesamt 78 Millionen US-$ zur Verfügung.
40 Millionen kommen von der Weltbank, 16 Millionen vom Kuwait-Fond
und 22
Millionen musste der georgische Staat aus eigenen Mitteln beisteuern.
Der größte Teil dieser Gelder ist aufgebraucht, Gogi
Tsereteli legt eine ansehnliche Liste neu gebauter oder generalsanierter
Straßen vor:
Poti-Tbilissi-Rote Brücke: 155 km repariert, 68 km
Neubau
Chaschuri-Achalziche: 19 km repariert, 10 km Neubau
Achalkalaki-Ninozminda: 5 km Neubau (geplant für 2004)
Poti-Batumi: 5 km Neubau (geplant für 2004)
Senaki-Sugdidi: 14 km repariert, 10 km Neubau
Mzcheta-Gudauri: 14 km repariert, 42 km Neubau (Fertigstellung
bis Gudauri geplant für 2004)
Tbilissi-Bakurziche-Lagodechi: 43 km repariert
Marneuli-Sadachlo: 20 km Neubau (weitere 10 km in 2004
geplant)
Sestafoni-Tabakuni: 9 km Neubau
Samtredia-Lanchuti-Grigoleti: 57 km Neubau
Umgehung Poti: 5 km Neubau
Dazu wurden einige Brücken saniert. Insgesamt wurden mit
dem Programm also knapp 500 km an Durchgangsstraßen saniert,
das ist etwa ein Drittel aller Straßen-Kilometer, die als
internationale Verbindungsstraßen gelten. Insgesamt 1.474
km des georgischen Straßennetzes werden als internationale
Verbindungsstraßen geführt. Aus der Sicht des Transportgewerbes
und des Tourismus fehlen jetzt nur noch ein paar wenige Straßen,
um wenigstens das wichtige Netz an Hauptverbindungen sicherzustellen:
- Achalziche - Vale - türkische Grenze
- Achalziche - Achalkalaki - armenische Grenze
- Kreuzpaß
- Adscharien
Auf die Sanierung der Grenzstraße in Vale wird man vermutlich
noch lange warten müssen. Denn das letzte Teilstück,
das von Vale bis zur Grenze, untersteht eigentümlicherweise
nicht einmal der Straßenbauverwaltung. Für diese Straße
ist die Zollverwaltung verantwortlich und diese versteht sich
wohl eher aufs Geld Einnehmen denn aufs Ausgeben, wobei die Anmerkung
erlaubt sei, dass sich auch für den Zoll in Vale eine Investition
in die Reparatur der schrecklichen Straße mit einem deutlichen
Anstieg des Autoverkehrs lohnen könnte. Die Strecke von Achalziche
zur armenischen Grenze hat für Georgien kaum Priorität,
auch hier wird man wohl noch einige Jahre warten müssen.
Völlig ausgeschlossen erscheint eine Generalsanierung des
Kreuzpasses zwischen Gudauri und Kasbeghi, was von jedem ausländischen
Passanten angemahnt wird. Die Kosten für eine solche Sanierung
schätzt man in der georgischen Straßenbauverwaltung
auf rund 55 Millionen $. Das Verkehrsaufkommen am Kreuzpass wird
auf rund 500 Fahrzeuge am Tag geschätzt eine Verkehrsfrequenz,
die kaum jemand nachvollziehen kann, der diese Strecke seit Jahren
regelmässsssssig befährt, 100 Fahrzeuge am Tag dürften
der Wahrheit näher kommen. Damit wird deutlich, dass die
wirtschaftliche Bedeutung dieser Strecke eine zweistellige Millioneninvestition
kaum rechtfertigen kann, zumindest solange nicht, solange noch
wichtigere Teile des georgischen Straßennetzes in einem
katastrophalen Zustand sind. Und wenn tatsächlich die Eisenbahnlinie
durch Abchasien wieder eröffnet wird, dann versinkt der Kreuzpass
verkehrstechnisch wieder im Dornröschenschlaf des kleinen
Grenzverkehrs. Ohnehin ist er nur dann etwas besser frequentiert,
wenn der Roki-Tunnel unpassierbar ist, und auch dann meist nur
von russischen Neuwagenkolonnen, die nach Armenien rollen. Deshalb
sollten sich alle, die vom Brenner träumen, wenn sie sich
über den Kreuzpass quälen, daran erinnern, dass dort
Zehntausende an Fahrzeugen täglich ihre Maut abliefern, mit
der die Straße refinanziert und unterhalten wird. Der Kreuzpass
ist meilenweit von der wirtschaftlichen und verkehrstechnischen
Bedeutung der Alpenübergnänge entfernt.
Bleibt noch Adscharien, das im georgischen Durchgangsnetz mittlerweile
einen Engpaß ersten Ranges darstellt, auch was die Qualität
der Straßen angeht. Dort arbeitet man an einer großzügigen
Untertunnelung der beiden kleinen Pässe, die zwischen Kobuleti
und Batumi am Schwarzen Meer entlag führen. In der georgischen
Straßenbauverwaltung weiß man davon allerdings recht
wenig, schon gar nicht, wer diesen Millionen-Bau investiert, das
ist Angelegenheit der Adscharen. Vermutlich sind es
türkische Geldgeber, die eine Verlängerung ihrer Schwarzmeer-Autobahn
realisieren. Dem Autofahrer wirds egal sein, wenn er irgendwann
einmal im Anschluss an die türkische Schwarzmeer-Autobahn
relativ rasch nach Tbilissi kommt. Die Vision, in sechs bis acht
Stunden von Tbilissi bis Trabzon fahren zu können, nimmt
langsam Gestalt an - sehr langsam, aber immerhin, die Zeit des
Stillstands oder gar Rückschritts im georgischen Straßenbau
scheint vorüber.
Dafür spricht auch die Qualität der jetzt neu gebauten
Straßen. Rainer Siebenkees, früher Landesleiter der
deutschen Straßenbaufirma Wirtgen in Georgien und heute
Berater der georgischen Straßenbauverwaltung erklärt,
dass vor allem der Unterbau der neuen Strecken recht solide
erstellt wurde. Dazu hat die georgische Straßenbauverwaltung
die entsprechenden Maschinen angeschafft und moderne Technologien
übernommen. Der Unterbau wird im sogenannten Kalt-Recycling
erstellt, dabei wird alter Straßenbelag samt Unterbau gefrässt,
mit Zement und einer Bitumen-Emulsion vermischt und verdichtet,
bevor zwei Lagen Asphalt aufgebracht werden. Auch die Qualität
des Asphalts sei
wesentlich verbessert worden, weshalb man den neu gebauten Straßen
wohl eine längere Lebensdauer vorhersagen kann als den alten.
Denn die verwandeln sich nach jedem Winter wieder in mittlere
Schlaglochpisten, die dann im Laufe des Frühsommers geflickt
werden. Mit diesem Befund des georgischen Straßenbaus wird
man sich trotz erkennbarer Fortschritte noch einige Zeit abfinden
müssen, ebenso damit, dass manch ein landschaftlich oder
kulturell reizvolles Ziel eben nur auf äusserst rustikalen
Pisten erreicht werden kann. Dafür ist man dort aber meistens
alleine, denn der Massentourismus meidet Strassen a la Georgia.
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