In der letzten Ausgabe beschrieb GN-Chefredakteur Rainer Kaufmann
die Autofahrt von Karlsruhe bis kurz hinter die griechisch-türkische
Grenze. Der zweite Teil der Reisereportage behandelt die Strecke
von Tekirdag in der Nordtürkei bis nach Tbilissi.
3. Tag: Über die Brücke nach Asien
Nach rund 115 km ist der Stadtrand von Istanbul erreicht, rund
70 km lang ist die Fahrt durch den Häuserdschungel der Millionenstadt.
Absolutes Highlight des Tages ist die Überfahrt über
den Bosporus mit einem atemberaubenden Blick auf das Goldene Horn.
Bei starkem Verkehr ist es gefährlich, langsam über
die Hängebrücke zu fahren, da die Istanbuler, die hier
tagtäglich zur Arbeit hin- und herrauschen, kaum nachvollziehen
wollen, dass der Tourist eher geneigt ist, etwas langsamer zu
fahren. Also bleiben wir nach der Mautstelle kurz vor der Brücke
strikt auf der rechten Spur und fahren gleichmässig gemütlich
dahin, um den Ausblick genießen zu können.
Damit sich Nachahmer rechtzeitig darauf einrichten können,
hier die Koordidnaten: Die Brücke nach Asien ist genau 260
Straßen-Kilometer nach der griechisch-türkischen Grenze
erreicht. Aprospos Maut: Rund um Istanbul mussten wir zweimal
löhnen, jeweils 2,5 Millionen Lira, das sind jeweils nicht
einmal 1,5 €. Am Ende unserer türkischen Autobahnstrecke
waren es noch einmal 3,75 Millionen, also auch ein Betrag, der
eher zu vernachlässigen ist, dafür sind die türkischen
Autobahnen von ausgezeichneter Qualität.
Nach ein paar Stunden gemütlich zu fahrender Autobahn mit
nahezu kaum wahrzunehmendem Verkehr, endet kurz vor Bolu der automobile
Luxus. Die Autobahn nach Ankara ist unterbrochen, der 980 m hohe
Bolu-Pass ist zu überwinden. Einige Kilometer vierspurig
ausgebauter Passstraße, umsäumt von unzähligen
Kneipen, Obst- und Kunsthand-werksgeschäften führen
nach oben in die beliebte Erholungslandschaft. In Bolu könnte
man wieder die Autobahn nach Ankara benutzen, wir ziehen aber
die Landstraße vor. Zum einen führt sie paralell zur
Autobahn und ist breit genug, um flott voranzukommen, zum anderen
muss man für unsere Route schon nach wenigen Kilometern bei
der Ausfahrt Gerede die Autobahn wieder verlassen. Auch auf der
Landstraße folgen wir zunächst einmal der Hauptrichtung
Ankara, um dann nach Gerede, wenn die Straße nach Ankara
in südliche Richtung einschwenkt, stur auf Ostkurs und damit
in Richtung Schwarzes Meer zu bleiben. Und jetzt beginnt einer
der schönsten Teile der gesamten Reise, die 500 km lange
Fahrt durchs türkische Hochland. In den Fensterscheiben unseres
klimatisierten und damit trotz sommerlicher Schwüle recht
gemütlich termperierten Renault Kangoo spult sich ein Landschaftsfilm
nach dem anderen ab, die zu beschreiben, kaum gelingen kann. Das
muss man schon selbst gesehen haben und man muss vor allem seine
Freude an landschaftlichen Impressionen haben.
Für Autofahrer bieten die türkischen Straßen
eine weitere Besonderheit: Die türkischen Verkehrsplaner
gehen mit der Aufhebung der vielen Überholverbote derart
konsequent um, dass sie nicht einen Meter, der die für einen
Überholvorgang notwendige Sicht bietet, unnötig im Überholverbot
belassen. Daran könnte sich vor allem die georgische Polizei
ein Beispiel nehmen, die es nach jeder Verbotstafel, egal ob Überholverbot
oder Geschwindigkeitsbegrenzung, dem Automobilisten und seinem
Verantwortungsgefühl überlässt, wann die einmal
eingesetze Verkehrsbeschränkung wieder aufzuheben wäre.
Dort, in der Türkei, macht Autofahren noch richtig Spaß,
wobei wir mit unserer georgischen Polizeierfahrung mit großer
Freude die Tatsache registrierten, dass sich mit Ausnahme von
Istanbul die türkische Straßenpolizei auf unseren 1.800
km höchstens fünf Mal zeigte, ohne uns ein einziges
Mal anzu-halten. Am Abend ist dann Samsun erreicht, unser zweiter
Übernach-tungsort in der Türkei. Wir fahren noch bis
nach Terme am Schwarzen Meer, wo wir auf einem Strand-Camping
wieder einen sicheren Stand-platz für die Nacht finden. Kosten
pro Person inklusive Auto: 5 Millionen Lira, das sind etwas mehr
als 3 € - also alles recht preiswert. Die Sanitäranlagen
allerdings rechtfertigen aus deutscher Sicht selbst diesen Preis
nur sehr bedingt.
Auf dem Campingplatz ist nicht allzuviel los. Die kleinen Restaurants
bieten fast nur Tee und Gebäck, nichts zu essen. Bier darf
nur außerhalb der abgesperrten Restaurantflächen getrunken
werden, die Kneipen haben keine Alkohol-Lizenz. Wir nehmen fast
eine Stunde Wartezeit in Kauf, lassen speziell für uns Roastbeef
organisieren mit Kartoffeln, für 20 Millionen Lira (= 13
€) und zwei Personen durchaus angemessen. Das Bier, Tuborg
in der Dose, kostet 1,5 Millionen, also 1 €, das gute türkische
Effes - in Tbilissi vor zehn Jahren noch das einzige erhältliche
Importbier - ist anscheinend nicht sonderlich gefragt. Die Tristesse,
die uns an diesem Campingplatz ins Auge springt, erklären
uns junge Studenten aus Samsun, die hier, wie andere junge Leute
aus den umliegenden Städten, ihren Sommerurlaub verbringen.
Die türkische Wirtschaftskrise lässt keine größeren
Sprünge zu, und dies auch nur dann, wenn man sich im Zelt
selbst verpflegt. Höchstens ein Glas Tee ist ab und zu drin,
und da sich an diesen Teil des Schwarzen Meeres kaum Ausländer
verirren, erklärt sich das relativ bescheidene Angebot dieser
Urlaubs-Gastronomie von alleine. Jedenfalls erregen wir zwei teutonischen
Biertrinker einiges Aufsehen und können uns mit der Hilfe
eines jungen Bochum-Türken schliesslich mit allem versorgen,
was der Körper nach einem langen Tag auf den Straßen
der Türkei braucht. Mit einem Glas Tee hätte er sich
bestimmt nicht zufrieden gegeben.
4. Tag: Vom Schwarzen Meer nach Ardahan
Früh morgens fahren wir los, einen Kaffe oder Tee auf dem
Campingplatz zu finden, ist aussichtlos. Wir steuern die erste
Kneipe am Straßenrand an, die an diesem Sonntagmorgen geöffnet
hat und geniessen ein ausführliches Frühstück.
Die Strecke über Trabzon nach Hopa, dem türkischen Grenzort,
ist nicht besonders aufregend. Seit Jahren sind die Türken
dabei, die Strecke zu einer vierspurigen Autobahn auszubauen,
vor allem nach Trabzon ein topografisch schwieriges Unterfangen.
Ungeahnte Mengen von Gestein müssen gesprengt und bewegt
werden, um die Trasse freizulegen. Man muss dabei wissen, dass
hinter Trabzon vor etwas mehr als zehn Jahren die Welt zu Ende
war. An der georgisch-türkischen Grenze standen sich die
Militärblöcke von NATO und Warschauer Pakt gegenüber.
Da gab es keinen Grenzverkehr. Jetzt erst, nach dem Niedergang
der Sowjetunion, ist diese Straße zu einer Hauptverbindung
und damit vielbefahrenen Verkehrsachse geworden, deren Last mit
der alten Straße kaum bewältigt werden kann. Wer diese
Strecke jetzt seit rund zehn Jahren zum wiederholten Male fährt,
stellt durchaus Fortschritte fest. Von Jahr zu Jahr werden es
mehr Kilometer guter Straße, wenngleich das Bautempo und
die Baustrategie, alle paar Kilometer eine neue Baustelle zu eröffnen
und dazwischen den alten Zustand zu belassen, nur schwer nachvollziehbar
sind. Aber immerhin, wenn diese Autobahn einmal fertiggestellt
sein wird, wird sie zu den schönsten Strecken iher Art zählen.
Was uns auch auffällt, ist die Tatsache, dass alle Teefabriken
der Nordtürkei wohl ununterbrochen arbeiten, ganz im Gegensatz
zur Situation in Georgien. Und wir fragen uns, woran dies liegt,
an den unterschiedlichen klimatischen Voraussetzungen kann es
wohl kaum liegen, der georgische Tee müsste diesselbe Qualität
erreichen können wieder türkische und damit auch denselben
Markt.
In Hopa, wo wir zur Mittasgszeit des vierten Tages ankommen,
geht es um eine grundsätzliche Entscheidung: Fahren wir sofort
weiter nach Sarpi und dort über die Grenze nach Adscharien,
damit wir möglicherweise noch am Ende des vierten Tages in
Tbilissi eintreffen können? Oder biegen wir noch einmal ostwärts
ins türkische Hinterland ab, um über Südgeorgien
und damit unter Umgehung von Adscharien Tbilissi anzusteuern?
Jeder Kenner der Situation weiß um den Hintergrund dieser
Frage. Das sind die Zustände am türkisch-georgischen
Zoll in Sarpi und vor allem die freundliche Aufmerksamkeit, mit
der adscharische Polizisten sich jeden Autofahrers annehmen, dessen
Kennzeichen verrät, dass er nicht Bürger dieser Gott-
und Aslan-gesegneten Autonomen Republik am Schwarzen Meer ist.
Nachdem wir schon mehrfach unsere eigenen Erfahrung mit dieser
besonderen Spezies von Uniformträgern gemacht haben, war
die Entscheidung klar: Wir fahren über die Berge nach Achalziche.
Hopa eignet sich für Reisende, die nicht ganz unser Tempo
einschlagen wollen und etwas länger brauchen, als letzter
Übernachtungsplatz: Gleich am Ortsrand gibt es ein sauberes
Hotel (Hotel Terzioglu) mit einem Deutsch-Türken als Manager.
Das Doppelzimmer kostet 30 $ mit Frühstück und Meerblick,
Swimmingpool und Sauna werden derzeit gebaut. Während der
Woche sind immer genügend Zimmer frei, am Wochenende (Freitag
und Samstag vor allem) zieht es jedoch unzählige Jungtürken
aus den Bergen ans Meer. Hopa gilt als der Vergnügungsplatz
der Region mit einem besonders umfangreichen Dienstleistungsangebot.
Da kann es schon vorkommen, dass die Zimmer aller Hotels der Stadt
ausgebucht sind mit vergnügungssüchtigen Männern
aus der Umgebung.
Wir biegen also nach Osten ab und werfen uns und unser Gefährt
in die Achterbahn der nordwesttürkischen Berge, eine Fahrt,
die wir so schnell nicht vergessen. Vier oder fünf Pässe
haben wir zu überwinden, zwei davon über 2.500 m. Wir
sehen Landschaften, die wir hier oben nicht zu erwarten gewagt
hätten: erst subtropische Teeplantagen, dann karstige
Schluchten und steppenartiges Hochland, schließlich über
allem und rund 2.000 m hoch eine Art lieblicher Wald- und Almenlandschaft,
wie wir sie aus dem Alpenvorland kennen. Und zu guter letzt, kurz
vor der georgischen Grenze, noch Blicke von schwindelnder Passhöhe
in Täler,
deren Landschaftsgrafik durchaus an die Toskana erinnert. Und
erstmals nach rund 13 Jahren Georgien-Erfahrung kommt so etwas
wie Dankbarkeit gegenüber der adscharischen Polizei auf,
dass sie uns motivierte, diese unvergleichlich schöne Strecke
in Angriff zu nehmen, deren Straßen sich im übrigen
in einem überwiegend guten Zustand präsentierten. Höhepunkt
dieser Berglandfahrt ist die Stadt Artvin, die
einen etwas mehr als einstündigen Abstecher unbedingt lohnt.
Zur Übernachtung empfehlen wir Ardahan, ein Bergstädtchen
auf rund 1.800 m Höhe, das über einfache, aber durchaus
saubere Hotels verfügt. Im schummrigen Speisesaal des Hotels
Ardahan (Doppelzimmer für 30 $ incl. Frühstück)
verspeisen wir am Abend noch gebratene Hühnerschlegel von
einer Qualität, wie wir sie schon lange nicht mehr serviert
bekamen.
5. Tag: Schnelle Zöllner und gute Straßen
Über 2.600 m hoch ist der letzte Pass, den wir am fünften
Vormittag unserer Reise von Karlsruhe nach Tbilissi überqueren,
das Dach unserer
Automobiltour vom Kraichagu in den Kaukasus. Und dort oben treffen
wir urplötzlich auf die geo-politische Realität dieser
Region, die Pipeline
Baku-Tbilissi-Ceyhan. Ein dunkelbrauner Streifen durchzieht das
satte Grünland, aufgefrässter Weideboden, in dem dann
die Erdölleitung versenkt werden soll. Später wird der
Humus wieder auf der Trasse
aufgebracht und begrünt, die Narbe in der Landschaft, die
wir jetzt sehen, soll wieder verschwinden. Zwei große Baulager
erkennen wir von der Passhöhe, bevor wir uns hinunterbegeben
in Richtung Posof, der kleinen Grenzsstadt in wirklich malerischer
Umgebung.
Nur noch mit großer Überraschung können wir den
Ablauf des Grenzübertritts beschreiben. Auf türkischer
Seite waren wir die einzigen im Zollhof, auf der georgischen standen
immerhin drei oder vier PKW und ein paar LKW herum. In nicht einmal
20 Minuten hatten die türkischen Grenzer in ausgesuchter
Höflichkeit die Formalitäten abgewickelt. Kosten: keine,
auch keine Beschleunigungszahlungen unter der Hand. Ob der mögliche
Beitritt in die EU jetzt schon seinen Schatten in den letzten
Winkel der Türkei vorauswirft?
Etwas letargischer, jedenfalls viel unhöflicher und fast
schon muselmanisch gleichgültig, erschienen uns die georgischen
Grenzschützer und Zöllner, wenngleich wir auch hier
kaum wirklichen Grund haben, uns über die Abwicklung zu beklagen:
Straßenbenutzungsgebühr, Zollkosten und Versicherung
für unser Fahrzeug, das in Deutschland registiriert ist,
kosten zusammen 70 €, die Prozedur dauerte knappe 45 Minuten.
Nur der letzte Grenzer, der uns aus dem Zollhof in die georgische
Freiheit entlässt, forderte - ohne jede Berechtigung - ein
Trinkgeld von 5 $. Wir gönnen es ihm ohne Widerspruch, vielleicht
ist es gut, gewisse Praktiken nicht völlig zu verlernen.
Nach nur einer guten Stunde Grenzaufenthalt waren wir also in
Georgien angekommen, wo uns dann zunächst einmal 30 derbe
Straßenkilometer erwarteten. Aber dann, nach Achalziche
sahen wir sogar die Straßenbautrupps und wollten unseren
Augen kaum trauen, als uns entlang der Kura statt der bekannten
Schlaglöcher zig Kilometer nagelneuen Asphaltbelags samt
metallener (!) Leitplanken erwarteten. Es tut sich was auf Georgiens
Straßen, wozu auch der Umstand zu zählen ist, dass
uns die auffällig verstärkt Präsenz zeigende Polizei
nicht ein einziges Mal zu irgendeiner der bekannt notdürftig
begründeten Kontrollen anhielt. Natürlich erfreuen sich
Autos mit Zollkennzeichen einer weitaus intensiveren Betreuung
durch die georgische Polizei. Mit unserem deutschen Kennzeichen
lässt man uns allerdings ohne jeglichen Anstand bis nach
Tbilissi durchfahren. Das läßt hoffen, vielleicht auch
auf die Entwicklung eines individuellen Automobiltourismus, der
sich schon vor Jahrzehnten die letzten Winkel der Türkei
erschloss. Warum nicht auch einmal für vier oder fünf
Wochen mit dem Auto durch den Kaukasus fahren? Die Anreise über
Italien, Griechenland und die Türkei jedenfalls, auch wenn
sie um ein oder zwei Tage gestreckt wird, ist kein Problem, wenn
man Spass daran hat, die Veränderung von Landschaften über
ein paar Tausend Kilometer zu erfahren. Im Überfliegen muss
man auf all diese Impressionen verzichten.
PS.: Ein paar Tage später erfahren wir, dass der georgische
Versicherungsagent an der Grenze die in Lari ausgestellte Versicherungspolice
mit einem astronomischen Kurs in Dollar umgerechnet hat. Und wir
haben im Dorf Achaldaba, das wir bei unserer Anreise aus Deutschland
noch anstandslos passieren konnten, eine wieder errrichtete nächtliche
Polizeisperre vorgefunden, an der wir eine völlig unmotivierte
Fahrzeugregistrierung auf irgendeinem Fresszettel über uns
ergehen lassen mussten und die Frage, ob wir Türken seien.
Diese werden an der Willkür-Kontrolle wohl kräftig abgezockt.
So macht halt jeder seine eigenen Erfahrungen mit der georgishcen
Polizei, wir bleiben dabei: auf den rund 4.000 km von Karlsruhe
bis Tbilissi nicht ein einziges Mal angehalten worden zu sein.
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