Giorgi Glonti ist Krimonologe und leitet in Tbilissi das "Transnationale
Zentrum für Kiminalität und Korruption", finanziert
von der "American University". Bei der Internationalen
Kriminalitätstagung der GTZ - GN berichtete darüber -
hielt er einen vielbeachteten Vortrag über die "Kriminologische
Charakteristik der Korruption in Georgien". Grund genug für
www.georgien-news.de,
den intimen Kenner der georgischen Korruption aufzusuchen und sich
mit ihm vor allem über die Hintergründe dieses Phänomens
zu unterhalten.
Die Bestechung habe in Georgien tiefe historische Wurzeln, erklärt
uns Glonti gleich zu Beginn. Das Land wurde über Jahrhunderte
von fremden Mächten regiert: Türken, Persern, Russen.
Diese hatten mehr oder weniger globale Interessen am Kaukasus
und kümmerten sich wenig um den Alltag in ihren Provinzen.
Unter der georgischen Beamtenschaft galt es alles andere als ehrenrührig,
Gelder und Sachwerte aus den Budgets dieser Fremdherrschaften
in private Kanäle abzuzweigen. Im Gegenteil, den Staat zu
bestehlen und zu betrügen galt als Nachweis von Cleverness,
während es unvorstellbar war, sich gegenüber privatem
Besitz ähnlich zu verhalten. Diese Mentalität habe sich
über Jahrhunderte herausgebildet, sie wurde dann in der Nach-Stalin-Zeit
der Sowjetunion zum Kult erhoben und war einer der Gründe
für den relativen Wohlstand der Georgier innerhalb des Sowjetsystems.
Denn Georgien war in der UdSSR, wie wir wissen, mit Armenien eine
Netto-Nehmer-Republik, da fiel für die Nomenklatur und die
Verwaltungselite samt ihrer Familienclans allemal genügend
ab, um den Lebensstandard deutlich über dem Sowjetdurchschnitt
zu gestalten.
Diebstähle von Staatseigentum galten als Kavaliersdelikte
und wurden dank der engen Vernetzung der georgischen Gesellschaft
nicht einmal zur Anzeige gebracht. Hätte man all diese Delikte
konsequent verfolgt, hätte man die Hälfte der Bevölkerung
ins Gefängnis stecken müssen, begründet Glonti
die Tatsache, dass auch im heutigen Georgien nahezu jedes Unrechtsbewusstsein
fehlt: "If you can steal from the state - you`re a brave
man."
Für diese georgische Mentalität habe sich mit der politischen
Wende nicht viel geändert. Das Staats-Budget und das vieler
einzelner Organisationen werde wesentlich mit Transfergeldern
aus dem Ausland ausgestattet, die zumindest teilweise abzugreifen
und in private Taschen umzuleiten, georgischer Tradition entspreche.
Dass sich Bürokraten und Offizielle fremdes oder staatliches
Geld untereinander aufteilten, sei nach georgischer Tradition
keine Korruption. Die georgische Verwaltungseliten hätten
immer so gehandelt. Da die meisten Leute des gleichermaßen
überbesetzten wie unterbezahlten Beamtenapparates nur auf
diese Weise überleben könnten, habe auch kaum jemand
wirklich Interesse daran, die Korruption zu bekämpfen. Der
einzige Unterschied zu früher sei, dass ein Großteil
dieser Gelder in Form von Krediten gewährt würden und
von den nächsten Generationen irgendwann einmal zurückbezahlt
werden müssen. Der Staat, der georgische Staat, sei der eigentliche
Verlierer, aber danach frage heute niemand.
Wer sind denn die korrupten Strukturen, woran kann man sie erkennen,
wollen wir wissen. Im Prinzip die gesamte georgische politische
und technische Elite, erklärt uns Glonti kurz und knapp,
wobei er kaum einen Unterscheid macht zwischen denen, die derzeit
die Regierungsmacht haben, und denen, die dazu in Opposition stehen.
Opposition und Regierung kämen aus demselben Lager und es
wäre ein großer Irrtum anzunehmen, am korrupten System
Georgiens würde sich etwas ändern, wenn man ein paar
Köpfe an der Spitze der Regierung austausche. Auch die weit
verbreitete Ansicht, dass der georgische Präsident und sein
Clan alleine Repräsentanten der Korruption seien und dass
sich mit dessen Abgang etwas Grundlegendes ändern könne,
verweist Glonti in das Reich der Fabeln. Der Präsident habe
doch keine andere Chance, als wegzuschauen, wenn er es sich mit
den einflussreichen Leuten der georgischen Gesellschaft, auf die
er angewiesen ist, nicht verderben wolle. Ihn zum alleinigen Sündenbock
abzustempeln, geht, so haben wir den Kriminologen verstanden,
meilenweit an der Wirklichkeit des Landes vorbei: Die Korruption
ist nicht eine Person oder ein paar wenige, die Korruption ist
das ganze Land, oder zumindest der größte Teil davon.
Es gäbe eine Übereinkunft der mächtigen Clans und
Gruppen, sich in geheimen Zirkeln abzustimmen, die Interessen
auszubalancieren und so das Land zu regieren. Die Wahlen bezeichnete
Glonti als eine reale Show, die nicht viel an der Situation der
Gesellschaft ändere. Natürlich sprächen alle Politiker
generell über das Übel der Korruption, sie weigerten
sich aber, konkrete Namen zu nennen und über die entscheidenden
Figuren zu reden.
Auch Glonti konnte - und wollte - natürlich nicht über
einzelne Personen des korrupten Systems reden. In seinem GTZ-Vortrag
versuchte er jedoch, die Personenkreise der Korruption zu definieren,
die Oberschicht-Korruption und die Unterschicht-Korruption. Die
Oberschicht-Korruption erfasse alle Ebenen der Politik und der
oberen und mittleren Beamtenschaft. Es gehe dabei um interne Absprachen
bis hin zur Gesetzgebung, wonach sich die entsprechenden Kreise
äußerlich völlig legal aber faktisch dennoch rechtswidrig
Geld- und Güterströmen bemächtigten und diese zu
privaten Zwecken nutzten.
Mit der Unterschichtkorruption bezeichnet Glonti all die speziellen
Beziehungen zwischen Bürgern und unteren Staatsangestellten,
mit denen diese sich das Zusammenleben zum gegenseitigen Wohlergehen
erleichterten. Während es sich bei der Oberschichtkorruption
um kriminelle Akte größeren Wertumfangs handele, sei
der durchschnittliche Wert der Unterschichtkorruption im Bereich
von wenigen Lari oder Dollar anzusiedeln. Ein wichtiges Indiz
für die allgemeine Akzeptanz der Korruption durch die gesamte
Gesellschaft sieht Glonti auch in der Tatsache, dass nur in den
seltensten Fällen Anklage erhoben wird, obwohl doch jedermann
nahezu tagtäglich über Korruptionsfälle in seinem
Umfeld berichten könne. Nach Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft
wurden im Jahr 1998 von georgischen Gerichten nur neun Personen
wegen Bestechung verurteilt , die Bestechungssumme lag bei drei
von vier Fällen im Bereich von 15 - 30 GEL.
Als wesentliche Quellen der Bestechung nennt Glonti einerseits
den immensen öffentlichen Geldzufluss aus dem Ausland, daneben
das Bankenwesen, in dessen "geschlossenem System" sich
"viele Vertreter der Legislative oder Exekutive mittels unfairer
Methoden zu Monopolisten im Geld- und Kreditsystem des Landes"
entwickelt hätten, völlig isoliert von der wirtschaftlichen
Betreuung der Hauptbevölkerung der Republik". Als dritten
Sektor zählt er das Energiewesen auf, wo "ziemlich große
Gruppen in abgestimmtem Handeln die ohnehin dürftigen Energieressourcen
der Bevölkerung durch räuberische Unterschlagung ausplündern".
Als vierten Bereich nennt er den Schwarzmarkt, durch den der Löwenanteil
des Warenumsatzes geschleust werde. "Hier, wie sonst kaum
anderswo, tritt die Aktivität von kriminellen Gruppen in
Erscheinung mit allen grundsätzlichen Kennzeichen der organisierten
Kriminalität: eine komplizierte Hierarchie, Geschlossenheit,
dauerhafte Funktion, Streben zur Monopolisierung und ein enges
Zusammenwirken zwischen kriminellen Clans und korruptem Staatsapparat."
Die sozialen Auswirkungen der Korruption sind für Glonti
besonders verheerend: Die Korruption präge in der Gesellschaft
eine "Zwienorm von Moral und Verhalten" heraus. Geld
sei der Maßstab aller Dinge, "die Bedeutung eines Menschen
wird durch die Größe seines persönlichen Vermögens
ungeachtet der Wege deren Erwerbung gemessen". Die Korruption
fördere eine ungerechte Umverteilung von Geld und Gütern
zugunsten "oligarchischer Gruppen", was eine Verelendung
eines Teils der Bevölkerung mit sich bringe und Basis für
künftige soziale Spannungen sei. Schließlich diskreditiert
die Korruption das Recht als Hauptinstrument für die Regelung
des Staates und der Gesellschaft. In der Gesellschaft verstärke
sich die Vorstellung von der Schutzlosigkeit der Bürger sowohl
gegenüber den Strukturen der Staatsmacht als auch denen der
Kriminalität, wobei, daran lässt Glonti eigentlich keinen
Zweifel, die Grenzen zwischen beiden ziemlich fließend sind.
Für die wirtschaftliche Entwicklung sieht Glonti ebenfalls
erhebliche negative Auswirkungen der Korruption. Sie stört
die Mechanismen der Marktwirtschaft, da nicht derjenige den wirtschaftlichen
Erfolg davontrage, der besser sei, sondern derjenige, der sich
mit Bestechung Vorteile verschaffe. Sie behindert durch falsch
beeinflusste Vergabe von staatlichen Aufträgen und der Freigabe
von Krediten eine effektive Verwendung der eh schon spärlichen
Haushaltsmittel. Sie wälzt, siehe Energietarife, finanziellen
Schaden, der durch die Korruption entsteht, auf die Allgemeinheit
ab.
Im der Politik verschiebt die Korruption den Schwerpunkt vom
nationalen Allgemeinwohl auf das Interesse oligarchischer Clans
und untergräbt vor allem das Ansehen des Landes in der internationalen
Arena.
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