Ausgabe 11/03
1. Juli


Giorgi Glonti ist Krimonologe und leitet in Tbilissi das "Transnationale Zentrum für Kiminalität und Korruption", finanziert von der "American University". Bei der Internationalen Kriminalitätstagung der GTZ - GN berichtete darüber - hielt er einen vielbeachteten Vortrag über die "Kriminologische Charakteristik der Korruption in Georgien". Grund genug für www.georgien-news.de, den intimen Kenner der georgischen Korruption aufzusuchen und sich mit ihm vor allem über die Hintergründe dieses Phänomens zu unterhalten.

Die Bestechung habe in Georgien tiefe historische Wurzeln, erklärt uns Glonti gleich zu Beginn. Das Land wurde über Jahrhunderte von fremden Mächten regiert: Türken, Persern, Russen. Diese hatten mehr oder weniger globale Interessen am Kaukasus und kümmerten sich wenig um den Alltag in ihren Provinzen. Unter der georgischen Beamtenschaft galt es alles andere als ehrenrührig, Gelder und Sachwerte aus den Budgets dieser Fremdherrschaften in private Kanäle abzuzweigen. Im Gegenteil, den Staat zu bestehlen und zu betrügen galt als Nachweis von Cleverness, während es unvorstellbar war, sich gegenüber privatem Besitz ähnlich zu verhalten. Diese Mentalität habe sich über Jahrhunderte herausgebildet, sie wurde dann in der Nach-Stalin-Zeit der Sowjetunion zum Kult erhoben und war einer der Gründe für den relativen Wohlstand der Georgier innerhalb des Sowjetsystems. Denn Georgien war in der UdSSR, wie wir wissen, mit Armenien eine Netto-Nehmer-Republik, da fiel für die Nomenklatur und die Verwaltungselite samt ihrer Familienclans allemal genügend ab, um den Lebensstandard deutlich über dem Sowjetdurchschnitt zu gestalten.

Diebstähle von Staatseigentum galten als Kavaliersdelikte und wurden dank der engen Vernetzung der georgischen Gesellschaft nicht einmal zur Anzeige gebracht. Hätte man all diese Delikte konsequent verfolgt, hätte man die Hälfte der Bevölkerung ins Gefängnis stecken müssen, begründet Glonti die Tatsache, dass auch im heutigen Georgien nahezu jedes Unrechtsbewusstsein fehlt: "If you can steal from the state - you`re a brave man."

Für diese georgische Mentalität habe sich mit der politischen Wende nicht viel geändert. Das Staats-Budget und das vieler einzelner Organisationen werde wesentlich mit Transfergeldern aus dem Ausland ausgestattet, die zumindest teilweise abzugreifen und in private Taschen umzuleiten, georgischer Tradition entspreche. Dass sich Bürokraten und Offizielle fremdes oder staatliches Geld untereinander aufteilten, sei nach georgischer Tradition keine Korruption. Die georgische Verwaltungseliten hätten immer so gehandelt. Da die meisten Leute des gleichermaßen überbesetzten wie unterbezahlten Beamtenapparates nur auf diese Weise überleben könnten, habe auch kaum jemand wirklich Interesse daran, die Korruption zu bekämpfen. Der einzige Unterschied zu früher sei, dass ein Großteil dieser Gelder in Form von Krediten gewährt würden und von den nächsten Generationen irgendwann einmal zurückbezahlt werden müssen. Der Staat, der georgische Staat, sei der eigentliche Verlierer, aber danach frage heute niemand.

Wer sind denn die korrupten Strukturen, woran kann man sie erkennen, wollen wir wissen. Im Prinzip die gesamte georgische politische und technische Elite, erklärt uns Glonti kurz und knapp, wobei er kaum einen Unterscheid macht zwischen denen, die derzeit die Regierungsmacht haben, und denen, die dazu in Opposition stehen. Opposition und Regierung kämen aus demselben Lager und es wäre ein großer Irrtum anzunehmen, am korrupten System Georgiens würde sich etwas ändern, wenn man ein paar Köpfe an der Spitze der Regierung austausche. Auch die weit verbreitete Ansicht, dass der georgische Präsident und sein Clan alleine Repräsentanten der Korruption seien und dass sich mit dessen Abgang etwas Grundlegendes ändern könne, verweist Glonti in das Reich der Fabeln. Der Präsident habe doch keine andere Chance, als wegzuschauen, wenn er es sich mit den einflussreichen Leuten der georgischen Gesellschaft, auf die er angewiesen ist, nicht verderben wolle. Ihn zum alleinigen Sündenbock abzustempeln, geht, so haben wir den Kriminologen verstanden, meilenweit an der Wirklichkeit des Landes vorbei: Die Korruption ist nicht eine Person oder ein paar wenige, die Korruption ist das ganze Land, oder zumindest der größte Teil davon. Es gäbe eine Übereinkunft der mächtigen Clans und Gruppen, sich in geheimen Zirkeln abzustimmen, die Interessen auszubalancieren und so das Land zu regieren. Die Wahlen bezeichnete Glonti als eine reale Show, die nicht viel an der Situation der Gesellschaft ändere. Natürlich sprächen alle Politiker generell über das Übel der Korruption, sie weigerten sich aber, konkrete Namen zu nennen und über die entscheidenden Figuren zu reden.

Auch Glonti konnte - und wollte - natürlich nicht über einzelne Personen des korrupten Systems reden. In seinem GTZ-Vortrag versuchte er jedoch, die Personenkreise der Korruption zu definieren, die Oberschicht-Korruption und die Unterschicht-Korruption. Die Oberschicht-Korruption erfasse alle Ebenen der Politik und der oberen und mittleren Beamtenschaft. Es gehe dabei um interne Absprachen bis hin zur Gesetzgebung, wonach sich die entsprechenden Kreise äußerlich völlig legal aber faktisch dennoch rechtswidrig Geld- und Güterströmen bemächtigten und diese zu privaten Zwecken nutzten.

Mit der Unterschichtkorruption bezeichnet Glonti all die speziellen Beziehungen zwischen Bürgern und unteren Staatsangestellten, mit denen diese sich das Zusammenleben zum gegenseitigen Wohlergehen erleichterten. Während es sich bei der Oberschichtkorruption um kriminelle Akte größeren Wertumfangs handele, sei der durchschnittliche Wert der Unterschichtkorruption im Bereich von wenigen Lari oder Dollar anzusiedeln. Ein wichtiges Indiz für die allgemeine Akzeptanz der Korruption durch die gesamte Gesellschaft sieht Glonti auch in der Tatsache, dass nur in den seltensten Fällen Anklage erhoben wird, obwohl doch jedermann nahezu tagtäglich über Korruptionsfälle in seinem Umfeld berichten könne. Nach Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft wurden im Jahr 1998 von georgischen Gerichten nur neun Personen wegen Bestechung verurteilt , die Bestechungssumme lag bei drei von vier Fällen im Bereich von 15 - 30 GEL.

Als wesentliche Quellen der Bestechung nennt Glonti einerseits den immensen öffentlichen Geldzufluss aus dem Ausland, daneben das Bankenwesen, in dessen "geschlossenem System" sich "viele Vertreter der Legislative oder Exekutive mittels unfairer Methoden zu Monopolisten im Geld- und Kreditsystem des Landes" entwickelt hätten, völlig isoliert von der wirtschaftlichen Betreuung der Hauptbevölkerung der Republik". Als dritten Sektor zählt er das Energiewesen auf, wo "ziemlich große Gruppen in abgestimmtem Handeln die ohnehin dürftigen Energieressourcen der Bevölkerung durch räuberische Unterschlagung ausplündern". Als vierten Bereich nennt er den Schwarzmarkt, durch den der Löwenanteil des Warenumsatzes geschleust werde. "Hier, wie sonst kaum anderswo, tritt die Aktivität von kriminellen Gruppen in Erscheinung mit allen grundsätzlichen Kennzeichen der organisierten Kriminalität: eine komplizierte Hierarchie, Geschlossenheit, dauerhafte Funktion, Streben zur Monopolisierung und ein enges Zusammenwirken zwischen kriminellen Clans und korruptem Staatsapparat."

Die sozialen Auswirkungen der Korruption sind für Glonti besonders verheerend: Die Korruption präge in der Gesellschaft eine "Zwienorm von Moral und Verhalten" heraus. Geld sei der Maßstab aller Dinge, "die Bedeutung eines Menschen wird durch die Größe seines persönlichen Vermögens ungeachtet der Wege deren Erwerbung gemessen". Die Korruption fördere eine ungerechte Umverteilung von Geld und Gütern zugunsten "oligarchischer Gruppen", was eine Verelendung eines Teils der Bevölkerung mit sich bringe und Basis für künftige soziale Spannungen sei. Schließlich diskreditiert die Korruption das Recht als Hauptinstrument für die Regelung des Staates und der Gesellschaft. In der Gesellschaft verstärke sich die Vorstellung von der Schutzlosigkeit der Bürger sowohl gegenüber den Strukturen der Staatsmacht als auch denen der Kriminalität, wobei, daran lässt Glonti eigentlich keinen Zweifel, die Grenzen zwischen beiden ziemlich fließend sind.

Für die wirtschaftliche Entwicklung sieht Glonti ebenfalls erhebliche negative Auswirkungen der Korruption. Sie stört die Mechanismen der Marktwirtschaft, da nicht derjenige den wirtschaftlichen Erfolg davontrage, der besser sei, sondern derjenige, der sich mit Bestechung Vorteile verschaffe. Sie behindert durch falsch beeinflusste Vergabe von staatlichen Aufträgen und der Freigabe von Krediten eine effektive Verwendung der eh schon spärlichen Haushaltsmittel. Sie wälzt, siehe Energietarife, finanziellen Schaden, der durch die Korruption entsteht, auf die Allgemeinheit ab.

Im der Politik verschiebt die Korruption den Schwerpunkt vom nationalen Allgemeinwohl auf das Interesse oligarchischer Clans und untergräbt vor allem das Ansehen des Landes in der internationalen Arena.




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