Ausgabe 9/03
28. Mai
 TV-Termine:

 Schätze der Welt:
 Baku – Land des
 Feuers

 3sat: 11. Mai, 21.00 Uhr
 SWR: 18. Mai, 13.15 Uhr

 Schätze der Welt:
 Mzcheta – Wunder der
 Nino

 3sat: 18. Mai, 21.00 Uhr
 SWR: 25. Mai, 13.15



Manchmal sind auch die banalsten Zufälle einfach zu schön, als dass man sie übergehen könnte. Wir sitzen auf der Besuchercouch im Büro des georgischen Sicherheitschefs Tedo Tschaparidse, der im Vorzimmer noch ein paar bürokratische Pflichten erledigt. Wie in allen georgischen Regierungs-Vorzimmern läuft ununterbrochen der Fernseher. Und just in diesem Augenblick erklingt die amerikanische Kult-Ballade "Summertime". Ein enger Mitarbeiter Tedos, der mit uns die Zeit überbrückt, bekommt glänzende Augen. Das sei sein Lieblingslied, erzählt er in bestem Deutsch, einfach eine unsterbliche Melodie. Tedo Taschaparidses Büro ist im nur mit Sonderausweis zugänglichen Sicherheitsbereich der georgischen Staatskanzlei, ein Gebäude, das vor 15 Jahren noch das Zentralkommitee der Kommunistischen Partei Georgiens beherbergte. Ob Summertime damals zu den bevorzugten Melodien der Leute gehörte, die hier arbeiteten?

Tedo Tschaparaidse gilt als der "Amerikaner" schlechthin im engeren Führungszirkel Georgiens. Acht Jahre lang war er Schewardnadses Botschafter in Washington, bevor er im Frühjahr letzten Jahres zum Chef der georgischen Staatssicherheit berufen wurde. Da war Zeit genug, sich sein Netzwerk an Freunden zu knüpfen. Da war für die Gastgeber auch Zeit genug, Vertrauen zu dem Mann aufzubauen, der vermutlich nicht ohne deren Zutun in das Zentrum der georgischen Sicherheitspolitik berufen wurde.

Dass das Netzwerk hielt, zeigte sich im vergangenen Herbst, als Tedo Tschaparidse in Washington über die Botendienste von Mitarbeitern seiner amerikanischen Kollegin Condolezza Rice, die er zu seinem persönlichen Freundeskreis zählt, indirekt in deren Verhandlungen mit den beiden russischen Iwanows (Außenminister und Verteidigungsminister führen denselben seltenen russischen Familiennamen) einbezogen war. Diese hatten eine direkte Beteiligung des Georgiers an den Gesprächen verweigert. Es ging damals um den Versuch Russlands, im Pankisital militärisch einzugreifen, was Amerika, wie man weiß, strikt abgelehnt hat. Die neue Schutzmacht Georgiens, die Vereinigten Staaten von Amerika, haben dem Herrscher aus früheren Zeiten die "rote Linie" im Kaukasus gezeigt und Tedo Tschaparidse saß irgendwie mit am Verhandlungstisch.

Dass er Freunde hat im Weissen Haus und im State Department, die er jederzeit anrufen kann, erzählt Tedo Tschaparidse beiläufig am Beispiel der Nowosti-Meldung vom Vortag unseres seit längerem geplanten Treffens, wonach der amerikanische Botschafter in Moskau erklärt habe, es gäbe noch immer eine terroristische Bedrohung für Russland, die im georgischen Pankisital Unterschlupf gefunden habe. Ein schneller Anruf in Washington noch am Abend und die Verwirrung war ausgeräumt. Dazu eine knappe e-mail-Korrespondenz zur US-Botschaft in Moskau: "Is it true-I mean is it true that Sandy`s said this? Cheers, Tedo." Die Antwort war ebenso knapp: "Tedo - I`m sending you the whole speech - as usual the Novosti version is a bit exaggerated. Best regards, John." Man kennt sich, man mailt sich, man ruft sich an. Tedo Tschaparidse erzählt diese Episode unprätentiös, sodass nie der Eindruck aufkommen kann, als müsse er mit seinen Connections prahlen. Er hat sie, er nutzt sie. Immerhin hat er auch Freunde in anderen Hauptstädten der Welt, insbesondere Moskau, wo er jahrzehntelang studierte und danach als Amerikanist arbeitete. Erst 1989 kehrte er nach Georgien zurück.

Also "Summertime - and the living is easy" erklingt, als Tedo Tschaparidse, der im Aussehen und Auftreten so ganz und gar nicht den Klischees vom georgischen Geheimdienstmann oder Regierungsbürokraten entspricht, das Büro betritt, sich angesichts der fast schon sommerlichen Schwüle seines Jacketts entledigt und das Gespräch beginnt, in bestem Englisch natürlich. Es ist zwar erst Mai, aber das Quecksilber steht schon auf Summertime, das Leben in Georgien ist aber alles andere als easy. Sein Stellvertreter zieht sich zurück, das Hintergrundgespräch läuft ohne weiteren Mithörer ab. In vielen Amtsstuben Gorgiens sitzt bei solchen Gesprächen im Hintergrund noch immer ein stummer, unauffällig auffällig stenographierender Begleiter.

Ob er sich erkenne, wenn er als Pro-Amerikaner betitelt werde, wollen wir wissen. Tedo lächelt ein wenig, zögert nur ganz kurz und erzählt dann die Geschichte seiner vielen Freunde in der Welt, vor allem derer in Moskau, und dass er sich zuallererst als einer fühle, der 100 % pro Georgien denke, danach in anderen Kategorien. Dass er sich allerdings vor allem den Werten der Demokratie, der Marktwirtschaft und der Liberalität verpflichtet fühlt, zieht sich durch das ganze Einstundengespräch und weisst ihn dann wieder als eindeutigen Westler aus. Und wenn er darüber philosophiert, welche Aufgaben seinem Land bevorstehen, dann wird sich die Frage nach seiner Grundorientierung nicht mehr stellen. Der Mann ist ein Amerikaner.

Natürlich dreht sich unser Gespräch um die aktuellen politischen Fragen, um Abchasien, Pankisi, das Verhältnis zu Russland und vieles mehr, worüberauch wir regelmässig berichten und wozu sich Tedo Tschaparidse regelmässig auch in der Öffentlichkeit äussert. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, der sich im letzten Jahr in seinem Büro in der Staatskanzlei das Leben genommen hatte, hat Tedo Tschaparidse keine Scheu vor öffentlichen Auftritten. Auch das ist neu für einen Sicherheitschef in diesen Breitengraden, auch das zeigt die amerikanische Schule. Und wir erinnern uns bei diesem Gespräch, dass er im ersten Interview nach seiner Berufung, das er noch in den USA einem amerikanischen Journalisten gab, erklärte, er sehe es als seine Hauptaufgabe an, den Menschen in seinem Heimatland zuallererst die Wahrheit zu sagen, auch seinem Präsidenten, dem er zu berichten habe.

Eine dieser Wahrheiten spricht er aus, als wir das Thema Abchasien anschneiden. Was immer in den verschiedenen politischen und diplomatischen Formaten an Fortschritten erzielt werden känne, das Problem Abchasien werde letztendlich nur dann gelöst werden, wenn Georgien politisch so stabil und wirtschaftlich so stark sei, dass es für die Abchasen attraktiver sei, sich Georgien anzunähern als sich von ihm zu entfernen. An dieser Wahrheit führt für Tedo Tschaparidse kein Weg vorbei. Und an dem Punkt seien die Georgier zuallerst selbst gefragt, da könne ihnen niemand helfen. "Lass uns Geschäfte miteinander machen, lass uns gemeinsam Geld verdienen, dann lösen sich alle anderen Probleme viel leichter." Der Amerikaner Tedo lässt grüssen: Money makes the world go around.

Deshalb auch der Versuch von Sotschi, über gemeinsame wirtschaftliche Interessen in humanitären Fragen wie die der Repatriierung von Flüchtlingen einen Schritt voranzukommen. Wandel durch Handel hiess dieses Konzept einmal, als mit ihm die deutsch-deutsche Eiszeit aufgebrochen wurde. Dass Russland dabei Statusfragen ausklammern und die internationalen Vermittlungsbemühungen aushebeln wollte, räumt Tedo Tschaparidse indirekt ein, indem er - wie auf einer Pressekonferenz einer Woche zuvor - wortreich erklärt, dass zwischen Sotschi und dem sogenannten Genfer Format der Freunde Georgiens in den UN überhaupt kein Widerspruch bestünde. Anscheinend, so muss man das alles verstehen, haben Putin und Schewardnadse aus den teilweise harschen Reaktionen auf Sotschi erkannt, dass sie ohne internationale Absicherung kein Direktgeschäft in Sachen Abchasien machen können. In dieser Frage bleibt Tedo Tschaparidse zwar im Unverbindlichen, die diplomatische Wortakrobatik, mit der die Rückkehr ins Genfer Format umschrieben wird, lässt aber kaum einen anderen Schluss zu, wobei er einräumt, dass es innerhalb der Freunde Georgiens eine paralelle Frontlinie zu der im Irakkonflikt gegeben habe. Deutschland und Frankreich seien nach Sotschi irritiert gewesen, während Amerika und Großbritannien erklärten "Sotschi has not been thad bad."

Auch für Russland müsse ein stabiles und wirtschaftlich starkes Georgien besser sein als ein labiles, entwickelt er seine politischen Ideale für den Kaukasus weiter, wie umgekehrt Georgien auch an einer Stabilisierung Russlands interessiert sein müsse. Dabei sind zwei Eckpfeiler unverrückbar. Zum einen der, dass Abchasien niemals aus dem georgischen Staatsverbund herausgelöst werden könne, auch wenn Russland noch soviele Reisepässe für die Bürger Abchasiens ausstelle. Zum anderen, dass es für Georgien niemals eine militärische Lösung des Problems gebe. "Sagen Sie dies unseren Freunden in Deutschland und Europa: Es gibt nur eine politische Lösung des Problems!"

Im Umkehrschluss gilt dies auch für Tschetschenien, das der einzige Grund sei für alle Probleme, die Georgien im Pankisital hatte. Pankisi hätte es nie gegeben ohne Tschetschenien, wie auf der anderen Seite manche Kreise in Russland das Pankisital immer wieder instrumentalisierten, um zu Hause erklären zu können, warum dieser unsinnige Krieg nicht beendet werden könne. Dabei sei Tschetschenien nie ein Problem des internationalen Terrorismus gewesen. Wieder so eine Wahrheit, die derzeit angesichts der internationalen Koalition gegen den Terrorismus kaum vermittelbar ist: Nicht jeder Tschetschene ist automatisch ein Terrorist.

Wenn denn der einzige Weg, politische Stabilität zu erreichen, über wirtschaftliche Prosperität führe, wenden wir uns wieder den inneren georgischen Problemen zu, warum habe dann das Land so wenig Fortschritte erreicht. Es ist doch offensichtlich, dass es von seiner Regierung schlecht gemanagt wird, dass die Korruption jeden Fortschritt behindert. Kein Widerspruch von Tedo Tschaparidse, keine Entschuldigung, nur der Versuch, die Missstände zu erklären. Das georgische Dilemma, aus dem Nichts heraus einen Staat aufbauen zu müssen, sei eben ein schmerzhafter Prozess, der nicht ohne Brüche und Widersprüche ablaufen könne. "Wir mussten in vier oder fünf Jahren eine Wegstrecke zurücklegen, für die andere Länder ein paar Hundert Jahre Zeit hatten. Das darf man nicht vergessen." Tedo Tschaparidse legt noch einmal großen Wert darauf, dass er damit all die Fehler und Versäumnisse der letzten Jahre nicht entschuldigen wolle, dass er auch nicht zulasse, dass man sich auf den Lorbeeren ausruht, die sich das Land nebenbei doch noch erworben hat. Immerhin sei Georgien in einigen demokratischen Kriterien Nummer eins in der ehemaligen Sowjetunion. Tedo Tschaparidse nennt die Pressefreiheit, die Arbeit von NGO`s, auch in der Arbeit des Parlaments und der Justizstrukturen habe man doch einige Fortschritte erreicht, die es andernorts nicht gäbe.

Bei den Freunden Georgiens in aller Welt bittet Tedo Tschaparidse trotzdem um Nachsicht: "Seid geduldig mit uns. Aber vergesst auch nicht, uns ständig mit klaren Botschaften an unsere Hausaufgaben zu erinnern." Das Land sei voll von alten Betonköpfen und Bürokraten, auch in dem Gebäude, in dem wir uns gerade befinden, sei noch jede Menge an altem Ungeist vorhanden, den auszurotten, eine Aufgabe von Generationen sei. Freiheit bedeute viele Freiheiten und man müsse verstehen, dass die Menschen Georgiens aus einer anderen Gesellschaftsordnung als der westlichen kommen, in anderem Denken verwurzelt sind, Schwierigkeiten hätten, mit diesen Freiheiten verantwortlich umzugehen.

"Wir sind verpflichtet, einen normalen Staat aufzubauen, der seine Rolle und Funktion kennt in der internationalen Gemeinschaft und der dort auch in dieser Rolle anerkannt wird." Tedo Tschaparidse ist optimistisch, dass dies gelingen kann, wenngleich er immer wieder einräumt, dass dies ein langer und schmerzhafter Prozess sei, in dem man sich befindet. Dabei vergisst er nicht die Anekdote beizusteuern, dass Eduard Schewardnadse ihn zwischen 1992 und 1994, als er schon einmal Sicherheitsberater des Präsidenten war, bei ausländischen Gästen oft genug scherzhaft als seinen "Unsicherheitsberater" vorgestellt hatte. Die Schlussfolgerung, dass dazu heute eigentlich kein Anlass mehr bestehe und dass mit dieser Feststellung dann doch der Beweis für einige Fortschritte im Lande angetreten sei, überlässt er dem Besucher.

Ob ihm der Job Spass mache, wollen wir wissen. Spass sei nicht das Kriterium, er könne sich schönere Aufgaben vorstellen als diese. "Aber solange mein Präsident mich auf diesem Posten braucht, werde ich meinen Dienst erfüllen". Ob er sich einmal vorstellen könne, seinem Land auf einer anderen Position zu dienen, fragen wir abschliessend. Die Antwort kommt schnell, viel zu schnell: "Ja, als Universitätsdozent. Ich bin Wissenschaftler und würde nichts lieber tun als die nächste Generation fit zu machen für ihre Aufgaben." So hätten wir dies nicht gemeint, fassen wir nach. Tedo Tschaparidse versteht und schmunzelt einen Augenblick. Vorstellbar sei vieles, wenn er gebraucht würde, könne er sich einer Aufgabe doch nicht verschliessen. Der Mann weiss anscheinend, dass einer wie er noch lange gebraucht wird, wenn das Ziel, aus dem georgischen Chaos einen geordneten Staat zu bauen, erreicht werden soll. "Wir haben doch nur die Fundamente gegossen und die ersten Steine aufgemauert. Es wird noch viel Zeit und viele Hände brauchen, darauf ein ordentliches Haus zu errichten." Und sicher noch viele Sommer. Und in sogenannten eingeweihten Kreisen von Tbilissi, erfahren wir zwei, drei Tage später, wird er als möglicher Aussenminister gehandelt, sollte die Regierungs-Koalition die Novemberwahlen erfolgreich überstehen. Seine Freundschaften und e-mail-Kontakte werden ihm dann sicher hilfreich sein.


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