Ardsinba
schasst seinen Premier
Fruherer Regierungschef reaktiviert
In der abtrunnigen Provinz Abchasien hat der schwerkranke Prasident
Wladislaw Ardsinba anscheinend das Heft noch immer fest in seiner
Hand. Obwohl er seit Monaten nicht mehr in seinem Amtssitz aufgetreten
ist und sich fast ausschliesslich in Krankenhausern oder zu Hause
aufhalt, hat er in der vergangenen Woche uberraschend seinen Regierungschef
Anri Dschergenia entlassen und mit dem derzeitigen Prasidenten
der Industrie- und Handelskammer Gennadi Gugulia einen fruheren
Premierminister reaktiviert. Dschergenia war gerade aus Moskau
gekommen und wurde von seiner Entlassung ebenso uberrascht wie
die abchasiche und georgische Offentlichkeit. Dschergenia galt
wegen der Krankheit Ardsinbas als eigentlicher politischer Fuhrer
Abchasiens und war auch Chefunterhandler bei allen Verhandlungen
mit Georgien oder der UN-Mission in Georgien.
Dschergenia wollte gerade eine Pressekonferenz uber die Ergebnissse
seines zweiwochigen Besuchs in Moskau abhalten, als er von seiner
Entlassung erfuhr. In Moskau hatte er einen Vertrag uber abchasische
Stromlieferungen nach Krasnodar unterzeichnet und die Unterstutzung
Moskaus fur den Wunsch Abchasiens, bei kunftigen UN-Verhandlungen
uber die Zukunft Abchasiens mit einer eigenen Delegation vertreten
zu sein, erhalten.
Offiziell wurde Dschergenias Entlassung mit Haushaltsdefiziten
und der unzureichenden Vorbereitung der Winterperiode begrundet.
Beobachter zweifeln allerdings an dieser Begrundung, denn einerseits
hatte Dschergenia die Budgetvorgaben der ersten neun Monate voll
erreicht, andererseits bereite der Winter in einer subtropischen
Region mit Durchschnittstemperaturen im Januar von 12 Grad Celsius
kaum ernsthafte Probleme.
Beobachter fuhren Dschergenias Entlassung wohl hauptsachlich
mit seinen unverhohlen vorgetragenen Ambitionen auf die Nachfolge
Ardsinbas zuruck, in dessen krankheitsbedingter Abwesenheit er
sich als de facto Fuhrer der abtrunnigen Republik aufgefuhrt habe.
Auch bei seinen Moskauer Missionen habe unter anderem um Unterstutzung
fur seine eigene Kandidatur als Nachfolger Ardsinbas nachgesucht.
Ein fruherer Vertrauter Ardsinbas, der jetzt die politische Opposition
anfuhrt, erklarte, dass Dschergenia wohl zu sehr die russischen
Interessen vertreten habe, die nicht immer mit denen Abchasiens
ubereinstimmten.
Ardsinba, der als misstrauischer Mensch geschildert wird, soll
gar die Gefahr einer Verschworung gegen sich selbst gewittert
haben und habe deshalb trotz verwandschaftlicher Beziehungen zu
Dschergenia mit dessen Entlassung zeigen wollen, dass mit ihm
noch zu rechnen ist. Ardsinba ist seit uber einem Jahr schwer
erkrankt und hat Schwierigkeiten mit dem Sprechen. Deshalb wird
er im abchasischen Fernsehen nur noch ganz selten und dann ohne
Tonaufnahmen gezeigt. Trotz seiner Gebrechen bescheinigt ihm seine
Umgebung ein vorzugliches Gedachtnis und versichert, dass Ardsinba
noch der alte sei und die poiltischen Ereignisse bestimme.
Beobachter in Abchasien gehen davon aus, dass damit die Chancen
Dschergenias auf die Nachfolge Ardsinbas, die, wenn der derzeitige
Prasident gesundheitlich durchhalt, erst in zwei Jahren ansteht,
drastisch gesunken sind, da er selbst uber wenig Popularitat in
der abchasischen Bevolkerung verfuge.
Die Auswirkungen dieser Personalie auf die georgisch-abchasichen
Verhandlungen sind derzeit noch nicht abzusehen. Einerseits hat
Gennadi Gugulia noch kein neues Kabinett berufen, andererseits
hat Anri Dschergenia seine Position als Chefunterhandler nicht
verloren. Georgien und die Vereinten Nationen mussen sich also
entweder auf einen vollig neuen Unterhandler einstellen oder aber
in ihre Verhandlungsstrategie einbeziehen, dass sie es mit Dschergenia
mit einem Mann ohne Einfluss zu tun haben. Ausserdem scheint sich
die politische Fuhrung Abchasiens derzeit eher in internen Machtkampfen
aufzureiben. Dem Friedensprozess kann dies kaum forderlich sein.
Die nachste Sitzung des Koordinationsrates wurde wegen der abchasischen
Regierungsumbildung zunachst einmal verschoben.
Am politischen Kurs Abchasiens durfte sich mit dem Wechsel an
der Regierungsspitze der international nicht anerkannten Republik
nicht viel andern. Auch der neue Regierungschef hat bereits angekundigt,
dass er eine enge Anbindung an Russland sucht. Gennadi Gugulia
hat wie 70 % der abchasischen Bevolkerung langst einen zweiten
Pass, den der Russischen Foderation.
Quelle: International War and Peace Report
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