Wo trifft man den georgischen UN-Botschafter wahrend seines Heimataufenthaltes
in Tbilissi? Sicher im Au?enministerium, denken wir und recherchieren.
Falsch. Im Aussenministerium sei fur ihn kein Buro frei, erklarte
uns Revaz Adamia am Telefon, deshalb erwartete er uns an seiner
fruheren Arbeitsstelle "G. Eliawa Forschungsinstitut fur Bakteriologie
und Virologie" in Saburtalo, dessen Leiter er - formal - heute
nach wie vor noch ist. Vielleicht will sich der Mann nur seinen
Ruckzug offen halten, man weiss ja nie, wie die Politik so spielt.
Revaz Adamia ist kein Berufspolitiker und -diplomat, hat das Handwerk
nicht - wie einige seiner Kollegen - auf Moskauer Schulen gelernt,
Revaz Adamia ist ein Seiteneinsteiger, ein Wissenschaftler.
Er sa? fur die Burgerunion im georgischen Parlament und zwar
im Flugel Schwanias, auf Seiten der Reformer also, die die Burgerunion
wahrend der Kommunalwahlen 2002 verlassen hatten. Deshalb war
es auch mehr als eine faustdicke Uberraschung, dass Eduard Schewardnadse
ihn, den Vertrauten seines gefahrlichsten innenpolitischen Opponenten,
auf die sensible UN-Mission schickte, nachdem er seinen fruheren
UN-Botschafter Lewan Mikeladse in einer diplomatischen Rochade
im Fruhjahr 2002 als Nachfolger von Tedo Tschaparidse, den heutigen
Sicherheitschef Georgiens, an die georgische US-Botschaft holte.
Personalien haben es manchmal in sich.
Revaz Adamia war zuvor Vorsitzender des Verteidigungsausschusses
des georgischen Parlaments und als solcher bereits vor einigen
Jahren durch ebenso kluge wie undiplomatisch offene Analysen und
Statements aufgefallen. Jedenfalls sprach er vor ein paar Jahren
schon vor deutschen Journalisten von einer moglichen NATO-Orientierung
als einer politischen Option seines Landes, als dieses Thema auch
in georgischen Regierungskreisen noch mehr oder weniger tabu war.
Damals war das Verteidigungsministerium noch eindeutig nach Russland
ausgerichtet und Amerika hatte - noch - kein gro?eres Interesse
am Kaukasus bekundet. Die Zeiten haben sich geandert.
Ahnlich offen hat sich Revaz Adamia bei den UN eingefuhrt und
ein paar Wortmeldungen abgegeben, denen es an Deutlichkeit gegenuber
Moskau nicht fehlte. Damit hat er vor allem seine russischen Kollegen
irritiert. "Ich rede immer offen uber die Rolle Russlands.
Ich habe zwar meine Instruktionen im Generellen, aber wie ich
etwas sage und mit welchen Worten, das bleibt mir uberlassen",
verteidigt er seine personliche Unabhangigkeit auch auf dem diplomatischen
Parkett. Die russischen Kollegen hatten ihn mehrfach darauf angesprochen,
das sei doch nicht der Stil, wie Diplomaten miteinander umgingen.
Aber warum solle er lugen, wenn doch die Dinge offen zutage lagen.
Freundlich und korrekt in Umgang und Sprache, aber prazise und
deutlich in den Inhalten und Analysen, so versteht Revaz Adamia
seinen Job als Sprachrohr des georgischen Prasidenten bei den
Vereinten Nationen.
Russland, so die Uberzeugung Adamias, habe derzeit kein ernsthaftes
Interesse an einer Losung des Abchasienkonflikts, wenngleich es
offiziell das sogenannte Boden-Papier zur Kompetenzaufteilung
zwischen Tbilissi und Suchumi unterstutze. Aber russische Diplomaten
wussten nach eigenen Worten (geaussert gegenuber der georgischen
Botschaft in Moskau, wie Revaz Adamia beilaufig berichtet) noch
nicht einmal, wem sie in Abchasien das Boden-Papier aushandigen
konnten, da sich die Behorden in Suchumi weigerten, das Dokument
uberhaupt anzufassen. Der ironische Unterton von Revaz Adamia
ist bei dieser Schilderung russischer Schwierigkeiten nur schwer
zu uberhoren.
Anri Dschergenia, der fruhere abchasische Premierminister und
Nach-wie-vor-Chefunterhandler mit Georgien, habe seinen georgischen
Gesprachspartnern gegenuber offen erklaren konnen, dass Moskau
das Boden-Papier zwar akzeptiere, aber Suchumi niemals zwingen
werde, dasselbe zu tun. Fur Revaz Adamia ist das ein Teil der
Doppelstrategie Moskaus, die auch in der Schizophrenie der russischen
Politik gegenuber Separatisten zum Ausdruck komme. Auf der einen
Seite unterdruckt der Kreml den Separatismus der Tschetschenen
mit aller Macht, auf der anderen Seite erlaubt er den Abchasen
all das, was er den Tschetschenen verwehrt. In Tschetschenien
bekomme Russland den Bummerang zuruck, den es in Abchasien selbst
in die Luft geworfen habe.
Adamia zahlt auf, warum er zu keiner anderen Schlussfolgerung
als zu einer negativen Einschatzung der augenblicklichen Lage
am diplomatischen Verhandlungstisch kommen kann und bezieht sich
dabei nicht nur auf das Thema der russischen Staatsburgerschaft
fur Abchasen und ahnliche Geschichten, die der Offentlichkeit
langst bekannt sind. Die hat er ja auch in seiner Rede vor dem
UN-Sicherheitsrat im August diesen Jahres deutlich angesprochen,
als er Russland, als Mitglied des Weltsicherheitsrates doch in
besonderer Weise der Charta der Vereinten Nationen verpflichtet,
im Umgang mit Georgien Staatsterrorismus vorwarf.
Als es jetzt im Dezember darum ging, das Boden-Papier zur Grundlage
einer neuen Resolution des Sicherheitsrates zu machen, habe Russland
hinter verschlossenen Turen nein gesagt und damit eine neue Resolution
des Sicherheitsrates verhindert. Russland habe auch Massnahmen
und Sanktionen gegenuber Abchasien, die auf dem GUS-Gipfel 1996
mit der Zustimmung Russlands beschlossen worden waren, abgelehnt,
nur um "uns sehr deutlich zu zeigen, dass sie uns derzeit
nicht erlauben, das Problem Abchasien zu losen. Es gibt derzeit
keine gemeinsame Sprache mit Russland zum Thema Abchasien."
Im Gegenteil: Russland habe sich per Brief fur den Wunsch der
Abchasen eingesetzt, an den Sitzungen des UN-Sicherheitsrates
zum Thema Abchasien mit einer eigenen Delegation teilnehmen zu
konnen. "Die Freunde Georgiens haben mich befragt, was wir
dazu sagen. Wir konnen eine Legitimierung der abchasischen Separatisten
in den Vereinten Nationen niemals akzeptieren. Die Freunde haben
uns unterstutzt, der Sicherheitsrat hat die Abchasen nicht eingeladen."
Bei dieser Dezember-Sitzung habe es Russland generell abgelehnt,
uber neue Elemente einer Resolution des UN-Sicherheitsrates zu
reden, informiert uns Revaz Adamia. "Aber was soll dann eine
neue Resolution? Wenn nur die Inhalte der alten Resolutionen wiederholt
werden, bedeutet das doch nichts anderes als Ruckschritt."
Welchen Ausweg aus der Sackgasse gibt es denn, wollen wir wissen,
immerhin steht im Januar eine Verlangerung des UNOMIG-Mandates
an, das wiederum an einem klaren GUS-Mandat fur Friedenstruppen
hangt. Das UNOMIG-Mandat wird kommen, sagt er und spricht damit
auch aus, dass es auf alle Falle bei einem GUS-Mandat bleiben
wird. Es gibt da derzeit keinen Ausweg, auch wenn das georgische
Parlament in einer "emotionalen Entscheidung" den russischen
Peacekeepers den Stuhl vor die Tur setzen wollte. "Wenn die
rausmussen, werden sie die Holle organisieren." Skeptisch
steht Revaz Adamia einer Internationalisierung der GUS-Friedenstruppen
gegenuber. Nicht dass er dies nicht unterstutzte, im Gegenteil.
Aber die Abchasen seien dagegen und die Vereinten Nationen eine
so schwerfallige Burokratie, in der Veranderungen nur sehr langsam
durchzusetzen waren. Die Kraft des Faktischen wird sich wohl durchsetzen
und das sieht dann wohl eher nach Erhaltung des Status quo aus.
Aber nach all den Verwirrungen des vergangenen Jahres mag manchem
die Festschreibung des Status quo schon als Erfolg erscheinen.
Ob sich die Umbildung der abchasischen Regierung auf die Verhandlungen
mit Georgien auswirken werden, ist eine weitere Frage, die wir
stellen. Kaum, sagt Revaz Adamia. Aber er ist sich auch sicher,
dass die Entlassung Dschergenias nicht ohne Rucksprache mit Moskau
erfolgt sei. Der Kreml habe Dschergenia ohnehin nie so richtig
getraut und habe jetzt mit Gagulia einen Geschaftsmann, den die
Nomenklatur von fruher kenne. Restaurantleiter am Rizasee sei
der heutige Regierungschef von Suchumi zu Sowjetzeiten gewesen.
Trotzdem, die Grabenkriege und Machtkampfe innerhalb der abchasischen
Fuhrung wirkten sich nicht unbedingt positiv auf den Verhandlungsprozess
aus.
Wir lenken das Thema auf einen schwachen Punkt der georgischen
Verhandlungsposition, das Thema Kodorital. Dort waren im vergangenen
Jahr georgische Soldaten mit tschetschenischer Hilfe im oberen,
von Swanetien aus zuganglichen Teil des Tals eingedrungen und
hatten die Kontrolle ubernommen, fur die abchasische Regierung
ein Grund, alle weiteren Gesprache mit Georgien zu blockieren.
Das Thema ist erledigt, erklart uns der Botschafter, das hatte
selbst die UN in ihren Kontrollgangen erklart. Nur noch leichte
Bewaffnung fur Grenzschutzer und lokale Reservisten sei vorhanden,
Georgien habe alle Auflagen des Moskauer Abkommens von 1994 erfullt.
Ende der Durchsage, auf dem Kodori-Ohr sind eben die georgischen
Offiziellen taub. Auch Revaz Adamia.
Der Abzug der russischen Militarbasen aus Georgien ist ein weiterer
Knackpunkt in den georgisch-russischen Beziehungen. Fur Revaz
Adamia musste dies kein allzu gro?es Problem sein, da er nur rund
russische 1.000 Offiziere sieht, deren Ruckfuhrung nach Russland
nicht so teuer kommen konne, wie es Moskau immer wieder erklare.
In den Mannschaftsdienstgraden stunden uberwiegend lokale Vertragssoldaten,
also Adscharen in Batumi und vornehmlich Armenier in Achalkalaki.
Die mussten nicht nach Russland zuruckgefuhrt werden, da musste
man nur ein paar Vertrage kundigen, wenn man nur wolle. "Wenn
Russland abzieht, ohne seinerseits Probleme zu schaffen, dann
haben wir auch keine Probleme. Rund 1.500 armenischen Familien
- denen kann doch geholfen werden." Der Mann gehort zweifelsohne
zum Forderverein der klaren Redensart.
Trotz aller Skepsis sieht auch Revaz Adamia zum Jahresende ein
paar Anzeichen der Entspannung. Der russische Prasident habe mit
seinen freundlich gestimmten Statements zu Georgien die Situation
beruhigt. "Das war gut und notwendig." Ob der neue russische
Botschafter in Georgien, ein ethnischer Georgier, denn nicht auch
ein positives Zeichen sei, fragen wir nach. Achselzucken. "Was
sagt das schon? Durfen wir jetzt etwa nur einen ethnischen Russen
mit georgischem Pass nach Moskau schicken?" Revaz Adamia
halt nicht viel von Vorschusslorbeeren fur den neuen Moskauer
in Tbilissi und will ihn an seinen Ergebnissen messen.
Dafur lasst sich Revaz Adamia eher mit dem Thema NATO-Mitgliedschaft
Georgiens begeistern. "Extremly important" sei dies
fur Georgien, fuhlt er sich vom Gang der Dinge in seinen fruheren
Prognosen bestatigt. "Wer hatte schon vor ein paar Jahren
daran gedacht, dass Rumanien und Bulgarien die Einladung zur NATO-Mitgliedschaft
erhalten wurden." Europa musse, wie die NATO, bei der europaischen
Sicherheitsarchitektur ein Hauptaugenmerk auf die Sudostflanke
legen. Nur in der NATO-Mitgliedschaft aller osteuropaischen Lander
sieht Revaz Adamia eine ernsthafte Garantie fur Unabhangigkeit
und Sicherheit der neuen Nationen, was naturlich voraussetzt,
dass Russland seine Rolle vor allem im Kaukasus neu uberdenken
muss.
Und damit ist Revaz Adamia bei einer These angelangt, die er
uns und einer Handvoll deutscher Journalisten schon vor ein paar
Jahren einmal ausfuhrlich erklart hatte. Damals sind die meisten
Gaste eher zweifelnd nach Hause gegangen und haben den politischen
Optionen des Revaz Adamia wenig Realitatssinn beigemessen. Eduards
Mann am East River war damals aber gar nicht so weit weg von dem,
was heute langst Realitat ist im Kaukasus.
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